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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Ballachulish, am oberen Ende des Loch mit Namen Linnhe, der weiter hinabläuft, gegen die Ufer von Mull schlägt und sich in den Atlantik ergießt. Ein wilder, entlegener Ort ist Glen Coe. Wenn wir denn Auswärtige empfangen, so ist es stets eine Überraschung, und meistens stellt sich heraus, dass sie sich auf dem Weg nach Crianlarich verlaufen haben. Wir versuchen ihnen trotzdem Gastfreundschaft zu erweisen. Gastfreundschaft, so haben wir gelernt, ist etwas Unheimliches. Nie kann man sagen, wie sie einem vergolten wird.«
    »Wird in Clen Coe sehr viel Whisky produziert?«
    »Merkwürdig, dass Ihr fragt, denn ich glaube, dass heute gar keiner mehr produziert wird, und das schon seit vielen Jahren. Ja, die einzigen Flaschen von Glen Coe in Eurer künftigen Sammlung werden wahrscheinlich sehr alte sein.«
    »Was -?«
    »Die Brennerei wurde zerstört. Niemand hat sie wiederaufgebaut.«
    »Dann müssen die MacIan of MacDonalds wirklich ins Unglück geraten sein«, sagte Throwley ernst.
    »Man muss wohl eher sagen, dass das Unglück über sie gekommen ist. Als wir alle hier in diesem Zimmer junge Burschen waren, erging von König William ein Befehl, dass die Oberhäupter der Highland-Clans allesamt einen großen Loyalitätseid zu leisten und dem Stewart – den Ihr den Prätendenten nennt – jegliche Untertanentreue aufzukündigen hätten. Alastair MacIan MacDonald, mein Oberhaupt, hat diesen Eid geleistet. Aber weil er nun einmal am Ende der Welt wohnte und weil es mitten in einem heftigen Winter war, hat er einen bestimmten Stichtag versäumt. Nun ist nicht viel später in unserem Tal eine Unmenge Schnee gefallen. Häuser und Scheunen waren darunter begraben. Und wer anders tauchte dann auf als eine Kompanie Soldaten aus Fort William, die im Schneetreiben vom Weg abgekommen war. Unbehaust wie eine Bande Renegaten waren sie, zu Tode erschöpft, am Verhungern, blaugefroren – eine Kompanie schwindsüchtiger Deserteure! Sie mussten uns nicht groß bitten. Arglose Bergbewohner waren wir, anständig und redlich, gutwillig gegen unsere Mitmenschen. Obdach gaben wir ihnen, und zwar nicht in unseren Scheunen, wohlgemerkt, sondern in unseren Häusern, so bescheiden sie auch waren. Denn für uns waren das keine Auswärtigen, obwohl sie von einem anderen Clan waren. Sie waren schottische Landsleute. Wir haben ein Fest gefeiert. Dort ist all unser Whisky hingeflossen! In die Kehlen dieser Schurken! Aber das war uns einerlei.«
    Nun geschah etwas Außergewöhnliches: Der Klang eines Dudelsacks wurde hörbar.
    Das Logis des Lieutenants war in die Ecke des Inner Ward gezwängt. Zwar bestand die Vorderwand aus Fachwerk, doch die hintere Wand war schlicht und einfach die alte Kurtine des Tower of London, die auf die Water Lane hinausging. In den oberen Teil dieser Mauer hatte man Fenster eingelassen, sodass der Generalleutnant die Lane, die äußeren Befestigungen, den Anleger und den dahinter liegenden Fluss überschauen konnte. Sowohl Water Lane als auch Anleger waren der Öffentlichkeit tagsüber zugänglich. Wahrscheinlich hatte Throwleys Haushälterin diese hinteren Fenster geöffnet, damit der Aprilwind die Schlafkammern auslüftete, und zufällig war ein umherziehender Dudelsackbläser des Wegs gekommen und spielte nun eine Highland-Melodie, in der Hoffnung, dass Spaziergänger oder Soldaten ihm ein paar Münzen zuwerfen würden. Es war dieselbe Melodie, die Lord Gy vor einigen Minuten gesummt hatte.
    Starke Empfindungen hatten sich auf MacIans Gesicht abzuzeichnen begonnen, während er die Geschichte der verirrten Soldaten und des improvisierten Fests erzählt hatte, das seine Sippe in den Schneewehen von Glen Coe für sie gegeben hatte. Als das Näseln des Dudelsacks ins Zimmer wehte, wurde sein Auge feucht, und er begann die Klappe zu reiben, welche das andere bedeckte. »Ach, ich brauche ein Gläschen«, bekannte er. »Habt Ihr Schwierigkeiten, Sir, mit dem Öffnen der Flasche?«
    »Ich muss gestehen, dass der Inhalt dieser Flasche angesichts all dieser Wachs-, Blei- und Drahtschichten ebenso streng bewacht scheint wie der Tower!«
    »Ach was, noch viel strenger!«, sagte Lord Gy wegwerfend. »Gebt sie mir, es gibt da einen Kniff, wie man sie aufbekommt, ich werde Euch gleich kräftig einschenken.« Er nahm die Flasche von Throwley entgegen.
    Downs sah schon seit einiger Zeit unwohl aus. »Ich muss bekennen, Mylord, dass Eure Geschichte eine Saite, und zwar eine melancholische, in meiner Erinnerung anrührt. Die

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