Principia
Immobilienentwicklung erkennen. Deren unfehlbarstes Zeichen bestand darin, dass der nach Black Mary’s Hole führende Pfad an dieser Stelle mit einem Namen – Coppice Row - aufgewertet worden war, der im fiebernden Gehirn von Möchtegern-Käufern Phantasien von behaglichem und bukolischem Charakter heraufbeschwören sollte, und seien diese noch so sehr von der Wahrheit entfernt. Entlang der Coppice wuchsen Gebäude empor oder waren erst vor so kurzer Zeit emporgewachsen, dass sie noch immer nach dem in ihren feuchten Putz gemengten Pferdehaar rochen. Auf der linken Seite der Straße, stadtauswärts, war die unkontrollierte Ausbreitung Londons einstweilen von dem Baumbestand und dem Wurzelwerk alter Eigentumsrechte um Sir John Oldcastle’s vereitelt worden. Zur Rechten befanden sich ein paar unscheinbare Gebäude, alle aus roten Ziegelsteinen, die noch von den Öfen warm waren. Sie wiesen zur Straße hin Laden-Arkaden und darüber Wohnungen auf. Das größte von ihnen gebot über eine Straßenfront von etwa hundert Fuß, aufgeteilt in ein Dutzend Ladenfronten von unterschiedlicher Breite. Die meisten waren recht schmal, und den meisten fehlte noch ein Mieter.
Einen Laden hatte offenbar ein Uhrmacher gemietet. Das jedenfalls hätte man aus dem neuen Schild schließen können, das an einem kunstvollen, freitragenden Arm aus Schmiedeeisen über der Straße hing. Dieses Schild war um die Leiche einer alten Uhr herum konstruiert worden, die so aussah, als wäre sie aus dem Glockenturm irgendeiner Stadt auf dem Kontinent geborgen worden – vielleicht dem eines belgischen hôtel de ville, das im jüngsten Krieg von einer Mörsergranate zerstört worden war. Jedenfalls war sie schon alt gewesen, bevor irgendeine wie auch immer geartete Abfolge von Brandkatastrophen, Plünderungen, Salzwasserbädern und groben Verladevorgängen sie nach Clerkenwell gebracht hatte. Mit ihrem verbogenen, zahnlückigen Werk und ihren rauen Roststellen diente sie eher als Emblem denn als Hüterin der Zeit. Für sich allein genommen hätte sie auch, wie eine römische Ruine, als Gesprächsgegenstand dienen können. Doch man hatte ihr eine muskulöse Gestalt beigegeben, die aus Holz und Gips zusammengefügt und einem Gott nachempfunden war, der mit einer Hand die Uhr hielt und mit der anderen nach oben griff, um den Stundenzeiger zu stellen. Dies alles, um auf einen Laden hinzuweisen, der so klein war, dass sein Eigentümer mittendrin stehen und mit den Fingerspitzen beide Seitenwände berühren konnte.
Clerkenwell Court – so hieß das Gebäude – lag nicht schlecht, denn es befand sich an einer Route, die Ausflügler auf dem Weg zu den Teegärten und Bädern von Lambs Conduit Fields nehmen könnten. Und es war nicht allzu weit entfernt von Gray’s Inn und diversen Plätzen, an denen wohlhabende Leute ihre Stadthäuser gebaut hatten. Aber es lag auch nicht sonderlich gut, denn es war schwer zu erreichen, ohne dass man eine oder mehrere Lasterhöhlen, Schlangengruben, Schandpfuhle etc., also Hockley-in-the-Hole und Smithfield, durchquerte.
Was eine vornehme Dame nicht davon abgehalten hatte, eines Sonntagmorgens in der Frühe mit ihrer Kutsche die Fahrt dorthin zu unternehmen. Mit einem Kutscher, zwei Lakaien, einem Hund außen neben der Kutsche und einem Waffen tragenden Herrn nebst einer Kammerfrau im Innern verfügte sie über eine starke Eskorte. Von den beiden Letzteren begleitet, durchschritt sie die Tür unter dem exotischen Ladenschild und zog an einem Glockenseil. Hinter der Rückwand des Ladens war ein fernes Bimmeln zu vernehmen. Sie zog ein zweites und ein drittes Mal. Gleich darauf ging eine Tür in der Rückwand auf. Dahinter erblickten die Besucher flüchtig nicht den erwarteten Lagerraum, sondern einen weitläufigen, komplizierten Hof voller Menschen und Lärm. Dann wurde die gesamte Türöffnung von der Gestalt eines ungeheuer hünenhaften, dunklen Kerls verstellt, der auf sie zukam. Er betrat den Laden, blieb stehen und blickte geradewegs über ihre Köpfe hinweg zum Vorderfenster des Ladens hinaus auf die Kutsche, die dort an der Coppice Row wartete. Ein Augenblick genügte ihm, um das Wappen auf dem Schlag zu entziffern. Dann gab er mit einer Drehung den Weg frei und wies mit dem Arm auf die Hintertür. »Tretet ein«, grollte er. Für den Fall, dass dies keine ausreichend blumige, höfliche Begrüßung gewesen war, fügte er noch ein »Willkommen« hinzu.
Johann von Hacklheber – als der einzige Besucher, der
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