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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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das Ende seiner Herrschaft eingeläutet hatte. Als William und Mary im Sterben gelegen hatten, hatte er sich klugerweise aus dem Land absentiert. Doch nun war er zurückgekehrt, und man brachte die Königin zu ihm. Wenn sie sich diese Zeit und diesen Ort aussuchte, um den Geist aufzugeben, würde sich dann jeder mit einer Perücke versehene Kopf im Saal ihm zukehren und ihn ansehen? Würde man ihm auf der Stelle jedes Glied vom Körper reißen, oder würde man ihn zu einer ordnungsgemäßen Enthauptung flussabwärts in den Tower befördern? Würde ans Licht kommen, dass er in letzter Zeit mit einer bestimmten ausländischen Prinzessin, die inkognito und uneingeladen hier war, in einer Kutsche in der Stadt umherfuhr?
    Diese und andere Grübeleien nahmen ihn so in Anspruch, dass er die plötzliche Stille und den Einzug einer ziemlich protzigen Sänfte in das Haus kaum wahrnahm. Er (und zugegebenermaßen so viele andere, wie der Saal fasste) hatte Audienz! Es war ein historischer Augenblick. Oder wenigstens ein Augenblick, wie er wahrscheinlich in den Geschichtsbüchern verzeichnet werden würde. Doch trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – wurde Daniel von einer äußerst ärgerlichen Unfähigkeit heimgesucht, sich darauf einzulassen. Seine Grübeleien waren von größerem Interesse – ein Zeichen unverzeihlicher Arroganz?
    Andere Männer schienen mit der Fähigkeit gesegnet, im Augenblick zu leben und (stellte Daniel sich vor) Erlebnisse auf die unverstellte, intensive Art zu erfahren, wie sie Tieren zu eigen ist. Aber er nicht. Wie würde das Zeremoniell, das Gepränge des Besuches der Königin im Parlament auf jemanden wirken, der sie so sehen konnte? Bunt, prächtig, hypnotisierend, vermutete Daniel. Er würde es niemals wissen. Er konnte es nur so sehen, dass eine kranke alte Frau einen Raum voller banger Burschen besuchte, die sich schon eine ganze Weile nicht mehr gewaschen hatten.

Im Kit-Cat Clubb
    EINE STUNDE SPÄTER
    Isaac Newton musste glauben, in jedem Raum herrschte Stille, denn in jedem Raum wurde es still, wenn er hereinkam. Selbst in diesem!
    Daniel hatte sich von der seltsamen Geistesabwesenheit erholt, die ihn während der Rede der Königin vor dem Parlament befallen hatte. Er lebte ganz und gar im Augenblick. Es musste etwas damit zu tun haben, dass er hier Schokolade trinken konnte. Außerdem konnte er umhergehen, mit Leuten reden und sich dem widmen, was er interessant fand. Bis Isaac den Raum durch sein Eintreten zum Schweigen brachte, war dies Rogers Spektakel gewesen, der an seinem Lieblingstisch Hof hielt und – in Form schlechter Gedichte – den Dank und – in Form teurer Geschenke – die Glückwünsche Großbritanniens, von einem Briten nach dem anderen, entgegennahm. Da man sich im Kit-Cat Clubb befand, mussten alle diese Lobreden in Versform gehalten werden: markige Epigramme, wenn Roger Glück hatte, ansonsten weitschweifige Abfolgen heroischer Couplets. Einer der formalen Zwänge, die man in der Kit-Cat-Schule des Knittelverses beachtete, bestand darin, dass niemand namentlich genannt werden durfte. Klassische Anspielungen waren de rigueur. Roger war fast immer Vulkan.
    So etwa irgendein Viscount:
    Blitze von Gold 1 in seiner rauch’gen Schmiede, 2
Um seinen Herrn 3 zu stärken, hämmerte Vulkan, 4
Maß den Gefangenen der Götter nimmermüde
Titan’sche Eisen und olymp’sche Fesseln an.
Der mit dem Feuer sich von dannen machte,
Prometheus 5 , ist an Fels gefesselt nun zum Lohn.
Als Juno 6 ihres Sohnes Zorn entfachte,
Kettet’ sein Kunstfleiß sie an ihren Thron. 7
    Dieser spezielle Viscount hätte, wie jedermann klar war, solche Zeilen natürlich niemals selbst verfassen können. Er wurde von einem der jungen Dichter begleitet, die im Club herumlungerten und gegen Pasteten und Wein Epigramme aus dem Ärmel schüttelten. Sir Isaac Newton unterbrach den rührenden Austausch und begann mit Roger zu reden. Nach seiner Tracht Prügel in der Sternkammer hatte er vierzehn Tage das Bett gehütet, doch nun ging er so lebhaft umher wie ein einundzwanzigjähriger Student, der an den Ufern des Cam herumtollt. Er merkte überhaupt nicht, dass er sich zum Kopf einer gewundenen und sich verdoppelnden Schlange von Männern vordrängte, die im Rang höher standen als er. Daniel war im Gedränge der Feiernden langsamer vorangekommen, weil er sich im Gegensatz zu Isaac die Mühe machte, sich zu entschuldigen. Deshalb konnte er zunächst nicht hören, was Isaac sagte. Aber er

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