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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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nach draußen und nach vorne und sah dort eine Reihe von Gebäudefassaden. Das hätte jede der neueren Londoner Straßen sein können, aber ihr Blick blieb an der Stirnseite eines Hauses hängen, das zwei oder dreimal so breit war wie seine Nachbarn.
    Genau wie sie bestand es aus Backsteinen, aber seine Fassade war so sehr geprägt durch Bogenfenster und -türen, die massiven kannelierten Wölbsteine, die sie umrahmten, die Stapel bossierter Steinquader, die sich auf seinen Ecksteinen erhoben, und die breiten Friese und Gesimse, die sich zwischen den Stockwerken über seine ganze Breite erstreckten, dass es wirklich so aussah, als wäre es aus massiven hellen Steinblöcken gebaut worden, deren schmale Zwischenräume man mit Backsteinen und Mörtel zugespachtelt hatte. Es sollte genauso dramatisch wirken wie das, was in ihm vor sich ging: Es war nämlich die italienische Oper, und sie stand am Hay Market. Obwohl Eliza sie liebte und wie ein guter Whig Subskriptionsscheine erworben hatte, war sie ihr heute Abend von keinerlei Nutzen, außer als Orientierungspunkt. Enge Straßen wie die Little Suffolk Street mochten von ein paar Männern und einem Feuer versperrt werden, aber der Hay Market war beinahe hundert Fuß breit. Sie dort aufzuhalten würde es einer ganzen Kompanie bedürfen.
    »Beachtet diese Männer gar nicht!«, sagte sie, »fahrt weiter geradeaus und haltet für niemanden an!« Was für sich genommen nur ein unwesentliches Stückchen Libretto war; Bedeutung erlangte es erst dadurch, dass sie es auf Deutsch sagte . Eliza hatte sich in so manchem salon aufgehalten, in Versailles, Amsterdam und anderswo, so manches kluge oder schockierende bon mot zum Besten gegeben und für so manchen frisson gesorgt – aber das alles war so gut wie nichts im Vergleich zu der Wirkung, die diese Worte auf die Reiter um sie herum hatten. »Sie ist es! Es ist die Prinzessin!«, rief einer von ihnen und trieb sein Pferd im Galopp auf die Kreuzung mit dem Hay Market zu, von der er jetzt ungefähr noch fünfzig Ellen entfernt war. Darüber war Eliza so erfreut, dass sie fürchtete, sie könnte als Betrügerin erkannt werden, was die Wirkung zunichtemachen würde. Deshalb zog sie sich zurück, ehe irgendeiner der Reiter auf der rechten Seite sie zu lange anschauen konnte, und rutschte wieder auf die linke Seite, um einen Blick aus diesem Fenster zu erhaschen.
    Doch da war die Freude zu Ende. Vor ihnen sah sie Sternschnuppen aus Feuer, die am Ende von Fackelgriffen hüpften und wirbelten. Eine davon neigte sich zu Boden und verschwand in einem kreisrunden düsteren Feuerschein, der plötzlich zu einer grellgelben Flamme emporschoss. Jemand hatte eine Fackel an die unterste Lage eines gut aufgeschichteten Feuers gehalten. Die Kutsche geriet ins Schwanken, als die Pferde sie sahen. Der Kutscher ließ immer wieder seine Peitsche knallen und erlaubte dem Gespann, so weit es konnte nach rechts in die Little Suffolk Street auszuweichen. Die Hoffnung, das Feuer umgehen zu können, und die Furcht vor der Peitsche und den schreienden Reitern trieben die Pferde dazu an, unkontrolliert vorwärtszustürmen. Gerade als sie auf den Hay Market durchbrachen, warf jemand eine Handvoll Knallkörper in die Flammen. Sie gingen in einem so nahen und so heißen Trommelfeuer los, dass Eliza spürte, wie Hitzestöße ihr durchs Fenster ins Gesicht schlugen. Sie versuchte, sich nach rechts zu bewegen. Aber das Gespann hatte noch größere Angst als sie selbst und strebte mit der ganzen Kraft von mehreren Tonnen Muskeln von dem Feuer weg. Die Kutsche schwenkte rechts herum und hob sich auf ihre linken Räder. Hätte Eliza sich nicht auf die rechte Seite geworfen, um sich dort am Fensterbrett festzuklammern, wäre sie geradewegs in die linke Tür gefallen. Einen Augenblick lang hing sie in der Luft und schaute durch den Burka-Schlitz nach oben, wo sie nichts als Kaminaufsätze, Storchennester und Sterne am Himmel sah.
    Dann brach eins der linken Räder zusammen. Die ganze Kutsche gab ungefähr um Armeslänge nach und landete mit ihrem gesamten Gewicht auf dem linken Ende der Achse. Jedenfalls schloss Eliza das aus den Geräuschen und Bewegungen. Ihre rechte Hand rutschte vom Fenstersims ab, sodass sie wie ein Sack Gerste gegen die linke Tür sank. Deren Klinke gab nach, und sie ging auf, aber nicht sehr weit, da sie fast über das Pflaster schleifte. Das Einzige, was sie noch oberhalb der Kopfsteine des Hay Market hielt, war diese Achse, die ein kurzes Stück

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