Principia
herausgerissen oder so verdreht worden, dass sie in ihrem Schädel steckten und an ihren Haaren zerrten. Sie zog sie unterwegs heraus und ließ sie klimpernd zu Boden fallen, dann nahm sie ihr flatterndes Haar hoch und schlang es sich im Nacken zu einem losen Knoten zusammen. Musik lockte: ein seltsames Geräusch in einer Nacht wie dieser. Es bedeutete Ordnung und Schönheit, zwei Dinge, an denen es in London grundsätzlich und heute ganz besonders fehlte. Eliza ging darauf zu, wobei sie auf einer dünnen Blutspur rutschte, die, so vermutete sie, von de Gex’ blutender Hand stammte und durch eine kleine Tür in einer Ecke des Foyers führte. Diese Blutspur war bereits hier und da durch Fußabdrücke verschmiert: Jack, der de Gex auf den Fersen war. Wenn Eliza also gerne dem Schwertkampf dieser beiden Männer beigewohnt hätte, wäre der Weg dorthin klar gewesen. Doch die Musik von Violinen und Cellos, den modernen Instrumenten, die, auch wenn die Akustik noch so schlecht war, ein ganzes Opernhaus mit Klang erfüllen konnten, zog sie stärker an. Sie trat durch eine große vergoldete Tür in einen düsteren Wandelgang, in dem es nach Mr. Allcrofts Royal Essence für Kopf- und Perückenhaar duftete. Von dort gelangte sie hinten in den Zuschauerraum.
Das Haus war sechzig Fuß breit, und fünfzig Fuß waren es auch von dort, wo Eliza hereinkam, bis zur Vorderseite des Orchestergrabens, wo von ihr abgewandt ein Mann mit Perücke stand, der im Takt zur Musik einen Stab auf und ab bewegte. Durch niedrige Mauern, die in konzentrischen Bögen von einer Seitenwand zur anderen verliefen und sich zur zentralen Hauptbühne hin öffneten, war der Zuschauerraum in halbkreisförmige Ränge unterteilt. Er erinnerte an ein griechisches Amphitheater, allerdings ohne das Wetter und ohne die Griechen. Durch die Mitte führte ein gerader Gang, der Eliza und den Mann mit dem Taktstock verband. Sie bewegte sich langsam in seine Richtung. Bob hatte ihr geraten, in der Nähe eines Ausgangs zu bleiben, falls das Theater vom Pöbel in Brand gesteckt werden sollte, aber die Musiker schienen sich nicht in Gefahr zu wähnen, deshalb musste sie sie warnen. Es wäre vernünftig gewesen, von hinten einen Alarmruf abzugeben. Aber irgendwie hatte die Theater-Etikette die Straßeninstinkte abgelöst, und Eliza hatte keine Lust, einen Aufstand zu machen. Als sie die Stelle erreichte, wo sie die Arme oben auf die kleine Brüstung legen konnte, die den Orchestergraben umgab, schien die Musik einer Art Coda entgegenzustreben; die Aufund Abwärtsbewegungen des Taktstocks wurden immer ausgeprägter, und als der Dirigent fürchtete, die Dinge gerieten außer Kontrolle, ließ er den Stab in seinem Griff etwas hinunterrutschen, sodass er bei jeder Abwärtsbewegung einen hörbaren dumpfen Schlag auf dem Boden produzierte.
Die Musik hörte auf.
»Herr Händel«, sagte Eliza, denn sie hatte den Dirigenten erkannt, »bitte verzeiht, aber -« Sie wurde durch eine unglaublich laute Stimme von der Bühne unterbrochen. Es war Sir Epicure Mammon, der nach der neuesten Mode gekleidet mit seinem zwielichtigen Kumpan Surly über einen Londoner Platz stolziert.
Frisch auf, Sir. Ihr betretet nun die Gestade
Von novo orbe; dies hier ist das reiche Peru;
Und dort drinnen, Sir,
[er deutet auf die Fassade eines vornehmen Stadthauses an dem
Platz]
Sind die Goldminen des Großen Salomon Ophir!
Eliza hockte sich einen Moment hin – wieder diese Gewohnheit der Theatergängerin. Dann kehrte sie an die Einfassung des Orchestergrabens zurück, um festzustellen, dass Georg Friedrich Händel sie leicht verdattert anschaute. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es sich wirklich um die Herzogin von Arcachon-Qwghlm handelte, wenn auch auf eine Weise deshabillée , wie die meisten Gentlemen sie sich nur erträumten, vollführte er einen vollendeten Hofknicks, bei dem er seinen Taktstock als Gegengewicht benutzte.
»Es tut mir leid, ich wusste nicht, dass das hier eine richtige Probe ist!«, rief sie aus.
Hinter Epicure Mammon und Surly kniete sich ein Zimmermann hin, um einen kleinen Teil der Bühnenkulisse zu befestigen, und auf einer Seite pinselte ein Maler an einem trompe-l’oeil -Himmel herum. Mammon schaute sie böse an. Zur Entschuldigung hob sie einen Finger an den Mund.
»Mylady«, rief Händel, der vor lauter Überraschung ins Deutsche zurückfiel, »was führt Euch hierher?«
»Heute Nacht«, beharrte Mammon, »werde ich alles, was in Eurem Haus aus Metall ist,
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