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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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am Charing Cross zu verbinden drohten. Besonders dicht gesät waren sie um die italienische Oper herum, was Roger beunruhigte, da er sehr viel Geld in das Gebäude gesteckt hatte und nicht wollte, dass es vom Pöbel niedergebrannt würde. Seine alten Augen konnten von hier aus keine einzelnen Gestalten erkennen, aber er konnte Muster sehen: dunkle Ströme, die um die Feuer herum und zwischen ihnen anschwollen, abebbten, wirbelten und spritzten: der Pöbel, dem immer noch eine klare Zielsetzung fehlte. Durch das Chaos hindurch bewegten sich aber auch geordnete und zielgerichtete Ströme, Flüssen im Meer gleich: disziplinierte Gruppen, vermutlich Milizangehörige. Dieser Anblick so nah bei seiner geliebten Oper machte ihn völlig benommen und erinnerte ihn daran, wie viel einfacher es wäre, vor Bolingbroke zu kapitulieren.
    Doch dann fiel sein Blick auf ein schwarzes Etwas, das sich äußerst zielstrebig den Hay Market hinaufbewegte und wie eine Lackperle glänzte, als es um die Feuer herumlavierte. An der großen Kreuzung mit der Piccadilly bog es so ab, dass es über die Shug Lane hinauf zum Golden Square gelangen würde. Da wusste er, dass es sein Phaeton war, der durch London raste wie ein schwarzer Panther durch ein Dschungelfeuer. Er wusste nicht, welche Botschaft er brachte, aber etwas in seiner verzweifelten Hast ließ ihn hoffen, dass es gute Nachrichten waren.
    »Es wird sich sehr bald erweisen, ob Ihr vorhin gelogen habt oder jetzt «, sagte Bolingbroke – der einen Moment gebraucht hatte, um seinen Hochmut wiederzufinden. »Ich wollte aber über die andere Angelegenheit mit Euch sprechen – über den Prinzen.«
    »Georg Ludwig von Hannover? Prachtvoller Bursche.«
    »Nein, Roger. Seine Königliche Hoheit James Stuart, der von Rechts wegen, wenn auch nicht nach dem Gesetz, unser nächster König ist.« Er hob eine Hand. »Die Königin hat sich entschieden. Sie kann, ja will ihr eigenes Fleisch und Blut nicht im Stich lassen. Sie wird ihn zu ihrem Erben erklären.«
    »Dann gebt ihm meinethalben das Porzellan, das Silber, die Möbel. Aber nicht Großbritannien. Das haben wir hinter uns, Henry.«
    » Was richtig ist , haben wir nie hinter uns.«
    »Wenn ich mit einem Tory spreche, habe ich manchmal das Gefühl, ich hätte es mit einem Relikt aus dem Mittelalter zu tun,«, sagte Roger. »Was für eine magische Quintessenz ist es Eurer Meinung nach, die einem Stuart das Recht verleiht, über ein Land zu herrschen, das ihn hasst und das für eine andere Religion eintritt! ?«
    »Die Frage ist, ob wir vom Geld und vom Pöbel regiert werden sollen – die für mich ein und dasselbe sind, da beide keinerlei festgelegten Prinzipien dienen – oder von jemandem, der einem höheren Zweck dient? Darum geht es beim Königtum, Roger.«
    Roger hielt kurz inne. »Das ist eine verlockende Aussicht«, sagte er dann. »Und ich verstehe Euch, Henry. Wir befinden uns jetzt an einer Weggabelung. Ein Weg führt uns zu einer völlig neuen Art, die gesellschaftlichen Angelegenheiten zu regeln. Es ist ein System, zu dessen Entwicklung ich in bescheidenem Maße beigetragen habe: Die Royal Society, die Bank von England, die Neuprägung, die Whigs und die Hannover’sche Erbfolge sind alles Bestandteile davon. Der zweite Weg führt uns nach Versailles und zu dem ziemlich anders gearteten Entwurf, den der König von Frankreich dort ins Werk gesetzt hat. Ich verschließe mich nicht den glorreichen Errungenschaften des Sonnenkönigs. Ich weiß, Versailles ist in mancherlei maßgeblicher Hinsicht besser als alles, was wir hier haben. Aber für jeden Punkt, in dem wir Frankreich unterlegen sind, lässt sich in dem neuen System, das wir hier errichten, ein Ausgleich finden.«
    »Dieses System ist schon bankrott«, sagte Bolingbroke. »Kommt, es wird kühl hier oben, und ich habe noch gewisse Dinge in meinem Arbeitszimmer zu erledigen.«
    Er bestand darauf, dass Roger ihm durch die Tür und die Dachtreppe hinunter vorausging. Wenig später kamen sie zu einem kleinen Arbeitszimmer im ersten Stockwerk des Hauses mit einem Blick über den Golden Square, der bei Tageslicht sehr schön sein musste. Jetzt bot sich dem Golden Square ein Blick auf sie, denn Bolingbroke hatte die Vorhänge offen gelassen, und im Raum brannten viele Lichter. Oben auf dem Observatorium waren sie ungestört gewesen, so wie Schauspieler in den Garderoberäumen eines Theaters, wo sie außerhalb ihrer Rollen miteinander scherzen, bevor sie weiterspielen.
    Doch jetzt

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