Principia
hier?«
»Ich weiß es nicht. Aber er ist wie ein einfacher Gentleman gekleidet, mit einer schwarzen Schärpe, folglich inkognito .«
»Vielleicht ist er von den Schweden in die Flucht geschlagen worden und will hier ins Exil gehen.«
»Danach sieht es nicht aus. Ein besiegter Flüchtling taucht nicht in Begleitung von Zwergen und Philosophen auf.«
»Warum ist er dann hier?«
»Ich hoffe, es ist eine Laune.«
»Warum?«
»Wenn es keine Laune ist, hat es vermutlich etwas mit mir zu tun.«
»Ich bedaure, dass ich Sophies Begräbnis versäumt habe«, sagte Baron Gottfried Wilhelm von Leibniz. Er befand sich seit ungefähr einer Stunde auf englischem Boden. Leibniz war nie besonders schön gewesen und würde es nie sein. Aber in den Jahren seit ihrem letzten Zusammentreffen hatten sich in seinem Gesicht Falten gebildet und Schatten ausgeprägt, die zu seinen dunklen Augen passten und ihn (nachdem er erst einmal seine Perücke aufgesetzt und die Knöchelabdrücke des Zaren bedeckt hatte) zumindest ernst und respekteinflößend erscheinen ließen.
Begleitet vom größten Teil seines Gefolges und dem überraschten, aber bereitwilligen Mr. Orney inspizierte Peter eins seiner neuen Kriegsschiffe.
»Diejenigen, die Euch ohnehin kennen und mögen, haben angenommen, dass Ihr aus gutem Grund abwesend wart«, sagte Daniel. »Die Höflinge dagegen, die eine andere Meinung von Euch haben, fanden diese bestätigt – falls ihnen überhaupt auffiel, dass Ihr nicht da wart.«
Leibniz nickte. »Im Mai war ich nach St. Petersburg zitiert worden, um an der Errichtung der Russischen Akademie der Wissenschaften zu arbeiten«, erklärte er.
»Komisch, ich werde nie zu solchen Aufgaben zitiert.«
»Das ist durchaus nicht alles so angenehm, wie Ihr vermutet. Der Ort ist im wörtlichen wie im übertragenen Sinne ein Sumpf. Peter will alles höchstpersönlich erledigen.« Leibniz wies mit dem Kopf auf eins der neuen Schiffe, das, fertig zum Stapellauf, immer noch auf den Böcken lag; Peter erklomm gerade die Webeleinen wie eine dreihundert Pfund schwere Fliege ein monströses Spinnennetz, während seinem Gefolge, das er einfach auf dem Deck darunter hatte stehen lassen, nichts anderes übrigblieb, als zu katzbuckeln oder Beifall zu klatschen. »Wenn er sich außerhalb der Stadt aufhält und gegen die Schweden kämpft«, fuhr Leibniz fort, »was meistens der Fall ist, passiert überhaupt nichts. Wenn er dann zurückkehrt, ist er empört darüber, dass seine Projekte nicht weitergekommen sind, und will, dass alles auf der Stelle erledigt wird. Das führte jedenfalls dazu, dass ich keinen Weg sah abzureisen.« Hier verstummte Leibniz allmählich und drehte sich in Richtung des Zaren um. Seine Aufmerksamkeit war dorthin gelenkt worden, aber nicht durch irgendeinen plötzlichen Lärm, sondern durch die plötzliche Abwesenheit desselben. Peter Romanow hatte die Spitze des Besanmastes erreicht und warf sich dort in Pose, indem er durch ein Perspektiv spähte, als befehligte er eine Flotte bei einem Seegefecht im Baltischen Meer. Um genau zu sein, hatte er (wie Leibniz Daniel gegenüber bereits erwähnt hatte) genau das erst wenige Tage zuvor getan, wovon die Kanonenkugellöcher und blutverschmierten Decks seiner Galeere zeugten.
Doch jetzt war Peters Fernrohr nicht auf die entfernten Segel irgendeiner schwedischen Flotte gerichtet, sondern auf die beiden gealterten Naturphilosophen, die sich unten in Orneys Werft unterhielten.
»Oh, oh«, meinte Leibniz.
»Seine Majestät hat befohlen, die Platten herauszubringen«, vertraute Mr. Kikin Daniel an. Kikin war nämlich, sobald er die Nachricht erhalten hatte, dass eine russische Galeere sich Rotherhithe näherte, von London herbeigeeilt, und zu seiner Ehre sei gesagt, dass er nur für ungefähr dreißig Sekunden von einer Katatonie befallen wurde, nachdem er die Werft betreten hatte und des Schauspiels ansichtig geworden war, wie der Zar aller Reußen mit Mr. Orney über die Feinheiten der Rumpfkonstruktion diskutierte. Jetzt machte er den Dolmetsch für Englisch.
»Welche Platten sollten das sein?«, fragte Daniel.
»Genau dieselben, die wir ihm Ende Juni geschickt haben«, antwortete Kikin.
Aus dem Laderaum der Kriegsgaleere kam jetzt eine feierliche und dennoch schreiend bunte Prozession herauf. Als Erstes tauchten die Perücke, der Kopf und dann der Körper eines jungen Gentleman auf, der vermutlich zu Peters Hofstaat gehörte. Er schien jedoch zum Dienst als
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