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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Anklage wegen Hochverrats aus. Und da sie in Newgate arbeiten und sich Tag für Tag mit Jack Ketch unterhalten, wissen sie besser als die meisten, welche Strafe auf dieses Verbrechen steht.«
    »Ich danke euch, Sir Isaac und Dr. Waterhouse, dass ihr mich über diese Dinge in Kenntnis gesetzt habt«, sagte Caroline in einem Tonfall und mit einer Veränderung der Körperhaltung, die deutlich machte, dass dieser Teil der Unterhaltung zu Ende war. »Nun würde ich gerne etwas über weitaus wichtigere Dinge hören.« Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, die Ellbogen auf seine gepolsterten Armlehnen gestützt, und während sie sprach, wanderte ihre rechte Hand hinüber zu dem ehrwürdigen alten Globus, den sie in seiner mit Filz belegten Halterung leicht in die eine oder andere Richtung schubste. Ihre Pose erinnerte an die eines Monarchen mit einer Hand auf dem Reichsapfel, wenn auch die andere Hand ihr Zepter zu vermissen schien. »Wie Ihr vielleicht wisst, Sir Isaac, kenne ich Baron von Leibniz seit vielen Jahren und habe ihm viel von dem zu verdanken, was ich in Mathematik, Metaphysik und der jüngeren Disziplin der Naturphilosophie gelernt habe. Was die erste betrifft, ist mir verschiedentlich von einem unerfreulichen Streit über den Ursprung des Kalküls berichtet worden. Die Einzelheiten sind langweilig. Weniger kluge Köpfe haben sich angesichts solcher Verwicklungen mit einfachen Erklärungen abgegeben. Eine davon lautet, Ihr hättet Freiherrn von Leibniz den Kalkül gestohlen, eine andere, er hätte ihn Euch gestohlen. Mich überzeugt keine der beiden Hypothesen.«
    Während Carolines Ausführungen hatte Daniel einen deutlichen Wetterumschwung in Isaacs Gesicht beobachtet. Falls er überschwängliche Dankes- und Lobesworte erwartet hatte, war er enttäuscht worden; Caroline hatte die Neuigkeiten von Jack und Bolingbroke interessant, letztlich aber doch nicht so bemerkenswert gefunden. Es war, als hätte der erschöpfte und blutüberströmte Ritter ein Paar frisch getötete Drachen in den Schlosshof der Prinzessin geschleppt und sie hätte sich, nachdem sie einen kurzen Blick darauf geworfen und ein oder zwei höfliche Fragen gestellt hatte, wieder ihrer Maniküre zugewandt. Isaac hatte sich kurz darüber geärgert, sich dann jedoch damit abgefunden. Bei ihm war es immer dasselbe. Alles, was er getan hatte, war unterschätzt und übermäßig kritisiert worden. Die Röte des Sieges, die sein Gesicht kurz zuvor noch belebt hatte, war dem Ausdruck gewichen, der typisch für ihn war: grau und steif wie die Galionsfigur an einem ausgedienten Schiff.
    »Eure Königliche Hoheit kennt Leibniz besser als ich«, sagte Newton. »Da Ihr mir Eure Ansicht anvertraut habt, Hoheit, werde ich sie akzeptieren und nichts dagegen sagen, weder hier noch in der Öffentlichkeit. Natürlich habe ich nicht die Macht, andere Philosophen zu zwingen, diese oder irgendeine andere Ansicht zu übernehmen.«
    »Dann sollten wir den Kalkülstreit verlassen und uns der Metaphysik und Naturphilosophie zuwenden. Ich habe nämlich schon lange den Verdacht – und Dr. Waterhouse wird mir da zustimmen -, dass der Streit um den Kalkül in Wirklichkeit ein Nebenkriegsschauplatz einer viel tiefer gehenden, interessanteren und bedeutsameren Diskussion ist. Baron von Leibniz hat meinem Haus als Hofphilosoph gute Dienste geleistet; Sir Isaac hegt, wie ich hoffe, den Wunsch, dasselbe zu tun.«
    »Es steht an erster Stelle meiner Bestrebungen, Hoheit«, antwortete Newton. Das führte zu einem leichten Augenrollen bei Leibniz, der einen hilfesuchenden Blick auf Daniel warf, doch Daniel gab vor, es nicht zu bemerken, und behielt seine ernste Miene bei.
    »Ich frage mich, ob irgendeinem Königshaus in der Geschichte dieser Welt die Auszeichnung zuteil wurde, dass ihm zwei so herausragende Philosophen dienen! Das kommt selten vor, und ich beabsichtige, es nach Kräften auszunützen. Ihr seid beide Christen und glaubt an einen lebendigen und tätigen Gott. Ihr behauptet beide, der Mensch sei nach Gottes Ebenbild erschaffen und besitze einen freien Willen. In Mathematik und Naturphilosophie laufen eure Interessen in sehr ähnlichen Bahnen. Und dennoch gibt es zwischen euch eine so tiefe Kluft wie die zwischen Scylla und Charybdis – eine grundlegende Meinungsverschiedenheit, die es euch unmöglich macht, zusammenzuarbeiten. Was vielleicht gar nicht so schlimm wäre, wenn ich noch Prinzessin von Ansbach oder irgendeinem anderen kleinen Fürstentum wäre und Ihr,

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