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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Ebenso wenig wie er übrigens, um ganz ehrlich zu sein, die meisten der anderen Örtlichkeiten zu besuchen pflegte, an denen Jack sein Leben verbracht hatte. Dieser flinke, leichtfüßige Gott, der die gefegten Marmorböden des Olymp gewohnt war, würde niemals Scheiße an seine taubenweißen Flügelschuhe kommen lassen. Tatsächlich hätte Jack sein Leben angesichts der Orte, an denen er sich aufgehalten hatte, in einer vollkommen nachrichtenlosen Umgebung verbringen – und daher ein glücklicherer Mensch sein – können, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass der verwöhnte Merkur drei Mundschenke, um nicht zu sagen Lustknaben hatte, nämlich Licht, Lärm und Gestank. Diese umgaben und umschwärmten ihn ungefähr so, wie man es von Angst und Schrecken beim Mars behauptete, und brachten Neuigkeiten an Orte und von Orten, die ihr Meister nicht zu betreten wagte.
    Licht war im Newgate selten zu sehen. Eigentlich bekam man es in ganz London nicht oft zu Gesicht. An einem Ende des Gefängnisses gab es einen Hof, so eng, dass ein junger Mann mit dem Rücken an dem Gebäude stehen und gegen die Umfassungsmauer pinkeln konnte. An Tagen, wenn die Sonne sich über London zeigte, schien sie gegen Mittag für ein paar Minuten in diesen Hof. Aus ebendiesem Grund waren jedoch die Wohnungen (wie sie trotz des ganzen Eisenkrams an den Fenstern genannt wurden), die auf diesen Hof hinausgingen, Gefangenen mit viel Geld vorbehalten.
    Jack hatte viel Geld – von dem er eine Menge tatsächlich selbst hergestellt hatte -, aber an diesem Tag befand er sich aus Gründen, die mit gewissen alten geheiligten Regeln des englischen Richterstands zu tun hatten, nicht in einer dieser Wohnungen. Vielmehr war er auf der Seite der gemeinen Schwerverbrecher, wo Licht nie gesehen wurde, es sei denn eine Spur davon wurde verhaftet und zu einer kurzen Gefängnisstrafe in einer Laterne verurteilt.
    Im Großen und Ganzen hatte der Lärm , dieser wollüstige Ausreißer, hier eine viel sorglosere Zeit als sein ätherischer Bruder Licht. Die Insassen von Newgate liebten Lärm und hörten nie auf, so viel davon zu machen, wie sie nur konnten. Zum Teil war es der Mangel an Licht, der Lärm zu ihrem einzigen Mittel des Austauschs von intelligenten oder, den Umständen entsprechend, dummen Botschaften machte. Zum Teil war es auch die Tatsache, dass an diesem Ort jeder – reich, arm, Schwerverbrecher, Schuldgefangener, Mann, Frau, Erwachsener, Kind – die Mittel hatte, mit jeder Bewegung Lärm zu machen, da sie ja alle vom Augenblick ihrer Inhaftierung, bis sie das Gefängnis verließen, eiserne Fesseln trugen. Reiche konnten sich leichte Ketten leisten, Arme mussten sich mit schweren zufriedengeben, aber Ketten hatten sie alle, und sie ließen sie mit Vergnügen klirren und rasseln. Als könnte schiere Lautstärke den Gestank aus der Luft schütteln und die Läuse verscheuchen.
    Jack lag in der Presskammer im Zentrum des Gefängnisses, im zweiten Stock. Nebenan befand sich der Kerker der Schwerverbrecherinnen mit ungefähr hundert Frauen, die wie Schokoladensoldaten in einer Schachtel Kopf an Fuß zusammengedrängt waren. Ihre einzige Quelle der Abwechslung bestand darin, die unflätigsten Dinge, die ihnen einfielen, durch ein Gitter hinauszuschreien, das an einem Ende des Raumes in die Steinmauer eingelassen war und zur Straße hinausging. Und wie sich herausstellte, gab es eine Menge freier Londoner, die nichts Besseres zu tun hatten, als da draußen zu stehen und ihnen zuzuhören. Dieser Brauch existierte nahezu unverändert seit etwa tausend Jahren, nur gelegentlich unterbrochen durch Ereignisse wie Pest, Feuer, Kerkerfieber oder hin und wieder den kompletten Abriss und Wiederaufbau des Gefängnisgebäudes selbst, und hatte sich so zu einer hohen Kunst entwickelt. Diese Frauen waren für die Blasphemie das, was der Herzog von Marlborough für die Feldherrnkunst war. Zum Glück für Jack, der es gerne ein bisschen ruhig hatte, um von Zeit zu Zeit in die Bewusstlosigkeit abgleiten zu können, waren die Wände der Presskammer dick und dämpften diese Verwünschungen zu einem schwachen Geschrei.
    Doch wenn Jack auch mehr hörte, als er sah, so roch er tausendmal mehr, als er hörte, denn von allen Adjutanten des Merkur fühlte sich der Gestank , dieser gemeine, sich einschmeichelnde Schuft, im Newgate am meisten zu Hause. Was Jack vor allem anderen roch, war er selbst und was in letzter Zeit aus ihm herausgequetscht worden war. Dann und wann erreichte

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