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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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seltsam ordentlichen Gestell an der Wand zu holen und mit einem zermürbend hohlen Dröhnen in dem Futtertrog zu stapeln. Das hatte sie ziemlich lange beschäftigt, und die ganze Zeit über hatten sie wie Rechtsgelehrte Präzedenzfälle zitiert: Jetzt sind wir über der Hundertpfundmarke, die für ältere Damen und tuberkulöse Kinder gedacht ist; jetzt sind wir bei zweihundert Pfund, was ausgereicht hat, um Lord Soundso nach nur drei Stunden zu einem Geständnis zu bewegen; aber vor dir, Jack, haben wir größere Achtung, weshalb wir gleich bei dreihundert Pfund angelangt sind, was Bob, den Messerstecher, umbrachte, von Jephtha Big dagegen drei Tage lang ausgehalten wurde.
    Und jetzt, Jack, sind wir bereit für dich. So wie du eindeutig für uns bereit bist.
    Dann hatten sie die Kiste mit den Gewichten auf ihn herabgelassen, wobei der Flaschenzug darüber das Ächzen und Kreischen besorgt hatte, das von Jack gekommen wäre, wenn er gekonnt hätte. Das Gewicht hatte ihn nicht sofort mit voller Wucht getroffen, sondern war, wie die Flut, nach und nach angewachsen. Er hatte sofort begriffen, warum so viele der von den Gefängniswärtern aufgezählten Leute aufgegeben hatten oder einfach gestorben waren: Es lag nicht am Gewicht, auch nicht am Schmerz, obwohl beide kaum auszuhalten waren, sondern an der schieren Finsternis, die damit einherging. Das meisterte Jack, wenn auch nur mit Mühe, indem er sich sagte, dass das nicht sein schlimmster Aufenthaltsort war. Bei weitem nicht. Und das ließ ihn die Ruhe bewahren, bis der Faden zerrissen war, der ihn mit dem Hier und Jetzt verband, und seine entfesselte Erinnerung von alten Zeiten zu träumen begann.
    In seinen Träumen machte er einen Streifzug durch viele alte Geschichten und bewegte sich wie ein unsichtbarer Geist durch lebendige Szenen in Port Royal auf Jamaika, bei der Belagerung von Wien, an der Barbareiküste, in Kairo, Malabar, Mexiko und an anderen Orten, wo er Gesichter sah, an die er sich gut erinnerte und von denen er die meisten liebte und ein paar hasste. Nach manchen dieser Personen rief er. Er rief so laut, dass die Wärter des Newgate ihn hörten und in die Presskammer kamen, um zu sehen, ob er aufgegeben hatte und zu einem Bekenntnis bereit war. Sie stellten jedoch lediglich fest, dass er sich im Labyrinth seiner Erinnerungen verirrt hatte und sich seiner realen Umgebung gar nicht bewusst war. Und er befand sich in einer Art Schmerz, aber nicht wegen der Gewichte – deren war er sich gar nicht mehr gewärtig -, sondern weil seine Erinnerungen starr waren und überhaupt nicht auf seine Notschreie reagierten. Er hätte genauso gut in einer Kapelle sein und die Deckenfresken anschreien können: traumhaft schön, aber tot und taub. Einmal sah er Mr. Foote in einer geblümten Tunika, wie er an einem Strand von Queenah-Kootah ein Glas mit einem farbenfrohen Getränk hob, als tränke er auf Jacks Gesundheit; mehr wurde ihm an Beachtung jedoch nicht zuteil.
    Seltsamerweise war der Einzige, der mit ihm sprach, der, den er am meisten hasste: Pater Édouard de Gex.
    »Ausgerechnet Ihr! Etwas Beleidigenderes kann ich mir nicht vorstellen!«, wütete Jack.
    »Ja, aber Ihr müsst zugeben, dass ich genau die Sorte Mensch bin, die zu einer solchen Zeit an einem solchen Ort auftaucht.« De Gex hatte seinen lästigen französischen Akzent abgelegt.
    »Je nun …, der Punkt geht an Euch«, sagte Jack schwach.
    De Gex, der Jesuit, hatte sofort eine Erklärung parat: »Die anderen, die Eure Erinnerung heimsuchen, Jack, sind entweder noch am Leben oder von ihrem jeweiligen Schicksal ereilt worden und viel zu weit von dieser Welt entfernt, um Euch zu hören. Ich bin der Einzige, der noch so auf dieser Welt umgeht.«
    »Ihr seid nicht in der Hölle? Für mich wart Ihr unzweifelhaft ein Mann, der spornstreichs zur Hölle fährt.«
    »Wie ich Euch in einem Augenblick der Schwäche bereits anvertraut habe, war und ist mein Status nicht eindeutig.«
    »Ach ja, Eure doppelzüngige Cousine hatte da für Unordnung gesorgt, das hatte ich ganz vergessen.«
    »Nicht einmal der heilige Petrus kann die Sache aus der Welt schaffen«, sagte der Geist von de Gex, »und so muss ich bis zum Jüngsten Tag auf der Erde umherwandern.«
    »Und was macht Ihr, um Euch die Zeit zu vertreiben, Pater Ed?«
    Pater Ed zuckte die Achseln. »Ich versuche, mich reinzuwaschen, indem ich gute Ratschläge gebe und andere, die noch eine gewisse Aussicht haben, in den Himmel zu kommen, auf den Pfad der Tugend

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