Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
allem, ein Hort der Glückseligkeit ist,
Dann muss es ein Ort sein, an dem du nicht bist.
    Die Vorstellung wurde von allen Zuhörern ausgesprochen gut aufgenommen, nur von dem Ausrufer selbst nicht, der in Richtung St. Sepulchre davonschlich und sich dabei zügig bewegte, weil die Menge anfing, Scheißhaufen und verdorbenes Gemüse hinter ihm herzuwerfen.
    Nun, da er in Schande fortgejagt worden war, blieben nur noch angesehene Mitglieder des Pöbels oder Mobs zurück, einer Klasse von Menschen, die sich durch ihren Hang zu Vergewaltigung, Mord und Diebstahl voneinander unterschieden, sich in ihrer Bewunderung für Jack dagegen einig waren. Ohne Zweifel erwarteten sie etwas von ihm. Ein paar Gruppen versuchten, ihm in unterschiedlichen Tonarten und Takten Lieder zu singen, aber bislang hatte sich noch keins davon durchgesetzt. Jack – der für sie nichts anderes sein konnte als eine Silhouette vor einem von Kerzenlicht erleuchteten Raum, noch dazu halb verdunkelt durch ein Gitternetz aus massiven Eisenstangen – wedelte ein wenig mit den Armen, um sie zur Ruhe zu bringen, dann drückte er sein Gesicht erneut ans Gitter und rief:
    »Die Abendglocke hat geläutet, und der werte Herr von St. Sepulchre hat mir seine Verse geschenkt, und jetzt ziehe ich mich zurück! Wie ihr alle es auch tun sollt! Morgen haben wir nämlich einen langen arbeitsreichen Tag vor uns! Morgens habe ich eine Verabredung in Tyburn, zu der ihr alle eingeladen seid! Dann noch eine am Nachmittag in der medizinischen Fakultät. Denn mein Körper soll zwar gevierteilt werden, aber mein Kopf dürfte die Zeremonie mehr oder minder unversehrt überstehen, und diese Naturphilosophen gleich um die Ecke – die Newgate Street geradeaus, dann rechts in die Warwick Lane direkt gegenüber von den Franziskanern, dann weiter bis zum ersten Eingang rechts, das große Gebäude mit der goldenen Pille obendrauf – werden meinen Schädel morgen aufschneiden und hineinschauen, um zu sehen, ob sie feststellen können, warum ich so ein böser Kerl bin.«
    Die Antwort darauf war ein allgemeines Wutgeschrei, das den Frieden und die Ruhe seines feinen Domizils dermaßen störte, dass er unverzüglich die Klappe schloss. Was sich als gut erwies, denn wenige Augenblicke später brach ein Hagelsturm los. Der Lärm von kleinen Gegenständen, die an die Fensterscheiben schlugen, schwoll an, bis er lauter war als das Geschrei. Aus Neugier trat Jack wieder ans Fenster und sah, dass Farthings und Pennys und sogar ein paar Shilling sich draußen auf dem steinernen Fenstersims anhäuften, so dick, dass sich schon Verwehungen bildeten. Die Leute warfen Geld zu ihm hinauf, Geld für ein christliches Begräbnis und dafür, dass er der medizinischen Fakultät nicht in die Fänge geriet. Und alle, die es sich nicht leisten konnten, Münzen zu werfen, stürmten mit ihren Fackeln in wildem Lauf die Newgate Street entlang und hielten Ausschau nach der ersten Abzweigung nach rechts, die Jack gerade erwähnt hatte. In der medizinischen Fakultät versprach es eine lange, ereignisreiche Nacht zu werden; aber Jack Shaftoe würde wenigstens etwas Ruhe und ein bisschen Schlaf finden.

Sir Isaac Newtons Haus in St. Martin’s
    ABEND, DONNERSTAG, 28. OKTOBER 1714
    »Mr. Threader«, kündigte der Butler an.
    Daniel hob den Kopf und drehte sich um.
    Den Hut in der Hand, stand Mr. Threader in ausgesprochen unterwürfiger Haltung an der Tür des Laboratoriums und blickte sich in dem Raum um, als erwartete er, dass Sir Isaac Newton hinter einem glühenden Ofen hervorsprang und ihn in einen Molch verwandelte.
    »Er ist nicht hier«, sagte Daniel freundlich. »Er ist im Haus seiner Nichte.«
    »Erholt sich – wie man hört – von irgendeiner attaque -?« Etwas ermutigt trat Mr. Threader über die Schwelle. Der Butler schloss die Tür hinter ihm und ging davon.
    »Wir werden ihm helfen, sich zu erholen, Ihr und ich. Bitte, kommt doch herein!« Daniel winkte ihn erst mit einer, dann mit beiden Händen herbei. Äußerst widerstrebend leistete Mr. Threader seiner Bitte Folge. Mit alchimistischen Laboratorien war er nicht vertraut. Die glühenden Öfen, die Gerüche, die offenen Flammen, die Tiegel und Destillierkolben mit ihren geheimnisvollen Aufschriften, das alles stellte für ihn eine unbestimmte Bedrohung dar. Als Daniel dies bemerkte, verspürte er einen Moment lang, was ein zweitrangiger Alchimist verspüren musste, wenn ein leicht zu täuschender Mensch sein Reich betrat: eine blasierte

Weitere Kostenlose Bücher