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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Scheibe als Handgriff zunutze, um nicht, wenn die Masse auseinanderfiel, einfach rückwärts zu stürzen und sich auf dem Boden den Kopf aufzuschlagen.
    Die Luft im Laden fühlte sich an seinen Fingerspitzen kühler an. Ihm blieb nichts anderes übrig, als etwa fünf Sekunden lang durch das Glas zu starren. In der Vorstellung des Architekten war dies vermutlich ein schönes Schaufenster gewesen, vor dem feine Damen hübsche Auslagen angurrten. Und vielleicht würde es das eines Tages auch sein, falls Hockley-in-the-Hole jemals in Mode kam. Doch vorderhand hatte man auf der Innenseite, etwa eine Armeslänge vom Glas entfernt, ein Brett angebracht – ob als Hintergrund für eine Auslage oder als Barriere gegen Eindringlinge, konnte Daniel nicht sagen. Es war vor langer Zeit mit grünem Stoff bezogen, und dieser war von der Sonne gebleicht worden, da das Fenster nach Süden ging. Der Stoff war überall weiß geworden, außer dort, wo das Sonnenlicht von Waren abgehalten worden war, die man daran gehängt hatte, um sie zur Schau zu stellen. Im Augenblick hingen keine Waren daran. Aber ihre eingefangenen Schatten waren deutlich sichtbar. Daniels erster Gedanke war Pendel, denn es handelte sich um Kreisformen, die an dünnen Schnüren hingen. Doch niemand kaufte Pendel, außer Naturphilosophen und Mesmeristen. Es musste sich um Uhren handeln, die an Ketten hingen.
    Der Phaeton ratterte vorbei, und die Menge entspannte sich, wodurch sich für Daniel ein ganz neues Universum von Gefahren auftat. Viele Burschen, die an anderen lehnten, welche letzten Endes an Daniel lehnten, beschlossen nun, sich durch kräftiges Abstoßen aufzurichten. Und so warfen Daniel immer wieder Druckwellen gegen das Gitter, und zwar dermaßen kräftig, dass er spürte, wie es unter ihm knackte. Einer der Messingknöpfe seines Rockes ließ eine Scheibe bersten, sodass ein Schauer schiefer Glasdreiecke auf die Schattenuhren regnete. Dann sackte seine Stütze unter ihm weg, und er fiel, wobei er sich – wie geplant – mit der einen Hand abfing, die er über den Fensterrahmen gekrümmt hatte. Seine Hüfte schwang gegen die Ladenfront und ließ eine weitere Scheibe zerklirren.
    Nun, da die lockere Scheibe nicht mehr von seiner Wange nach innen gedrückt wurde, war sie zurückgefedert, sodass seine Knöchel unter ihrem scharfen Rand eingeklemmt waren. Er hing auf Zehenspitzen fest, wie ein Gefangener, der in einem Kerker gestreckt wird. Doch seine rechte Hand war frei, der Spazierstock hing noch immer an der Schlaufe an seinem Handgelenk, Daniel bekam ihn nach einigem lächerlichem Gezappel und Geruckel in der Mitte zu fassen, schwang den Knauf hoch und schlug die lockere Scheibe heraus, um sich zu befreien. Der auf dem Boden Liegende wälzte sich auf den Rücken, setzte sich unter Zuckungen auf und blies eine Blutwolke aus seinen Nasenlöchern. Daniel eilte weiter; und gerade als er an der Tür des Gebäudes vorbeikam, spürte er, wie sie aufging. Drei Schritte weiter hörte er ein »Heda, Ihr!«, aber in Hockley-in-the-Hole herrschte größerer Tumult denn je, sodass er den Zuruf getrost ignorieren konnte. Er konnte einfach kein Gespräch mit der Sorte Mensch beginnen, die im hinteren Teil eines solchen Gebäudes lauerte.
    Er ging schneller und folgte dabei der Linkskurve von Hockley-in-the-Hole. Ein von Gossen und Spalten im Pflaster ausgehendes Miasma wässriger Gerüche verriet ihm, dass er den überbauten Fleet überquert hatte. Er bog direkt in Windmill Hill ein, obschon es lange her war, dass es dort einen erkennbaren Hügel oder eine Windmühle gegeben hatte. Dann zwang er sich, hundert Schritte genau westlich zu gehen, ohne zurückzublicken. Damit hatte er Hockley hinter sich gelassen und war in die Mitte des größten offenen Platzes in diesem Stadtteil gelangt, wo die Leather Lane, die Liquorpond Street und mehrere andere Wege zu einer ungeordneten, namenlosen Kreuzung, halb so groß wie Charing Cross, zusammentrafen. Dort endlich drehte er sich um.
    »Eure Uhr, Sir«, sagte ein Bursche, »jedenfalls vermute ich das.«
    Sämtliche Luft entwich Daniels Lunge. Zehn Minuten lang war er sich schlau und flink vorgekommen. Nun schaute er an sich hinab und sah Verwüstung. Eine Bestandsaufnahme alles dessen, was seiner Kleidung und seiner Toilette zugestoßen war, würde mehr Zeit erfordern, als er erübrigen konnte; aber es bestand kein Zweifel, dass seine Uhr fehlte. Er machte einen, dann einen kleineren Schritt auf den Mann zu. Dieser jedoch

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