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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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wollt!
    »Doktor Waterhouse! Ihr habt mich viel zu lange warten lassen! Wie kann ich Euch je verzeihen?«
    Das hörte sich ganz nach einer Gelegenheit für Daniel an, etwas Geistreiches von sich zu geben, doch sie rauschte an ihm vorüber wie Vogelschrot.
    »Äh..., habe ich das?«
    Doch das Dämchen war den Umgang mit Naturphilosophen gewöhnt, die ihre Zunge verschluckt hatten. »Ich hätte auf Onkel Isaac hören sollen, der in den höchsten Tönen von Eurer Charakterstärke gesprochen hat.«
    »Ich … wie belieben?« Allmählich kam er sich vor, als sollte er sich vielleicht selbst mit seinem Stock schlagen. Vielleicht würde das die Versorgung seines Gehirns mit Blut wiederherstellen.
    »Ein schwächerer Mann hätte sich gleich an seinem ersten Tag in London genau dort aufgepflanzt, wo Ihr eben gestanden habt, und zu jedem Passanten gesagt: ›Aufgepasst! Seht Ihr das Haus da? Ich habe es gebaut! Es ist mein!‹ Ihr dagegen!«, und an dieser Stelle stemmte sie tatsächlich in gespielter Entrüstung die Hände in die Hüften. Doch das wirkte komisch und nicht im Geringsten affektiert. »Ihr, Doktor Waterhouse, mit Eurer puritanischen Art – genau wie Onkel Isaac -, habt dieser Versuchung wie lange? – etwas mehr als zwei Monate lang widerstanden! Es ist mir ein Rätsel, wie Ihr und Onkel Isaac Eure Freuden mit so eiserner Geduld aufschieben könnt, wo jemand wie ich völlig außer sich geriete.« Dann, weil das vielleicht ein wenig gewagt klang, fügte sie hinzu: »Übrigens tausend Dank dafür, dass Ihr meine Briefe beantwortet habt.«
    »Keine Ursache, es war mir eine Ehre«, antwortete Daniel, ohne zu überlegen. Aber er brauchte einen Augenblick, bis ihm wieder einfiel, wovon sie eigentlich redete.
    Catherine Barton war um die Jahrhundertwende nach London gekommen. Sie musste um die zwanzig sein. IhrVater – Isaacs Schwager – war ein paar Jahre zuvor gestorben, und Isaac hatte die Last auf sich genommen, die armen Hinterbliebenen zu ernähren, zu kleiden und zu beherbergen. Nach kurzem Aufenthalt in der Stadt bei Isaac hatte sie die Pocken bekommen und war aufs Land geflohen, um gesund zu werden oder zu sterben. In dieser Zeit hatte sie Daniel einen Brief nach Boston geschickt, einen Brief, der ebenso intelligent geschrieben wie gefällig und charmant gewesen war.
    Was Daniel daran erinnerte, dass er etwas sagen müsste. »Ich habe Glück gehabt, dass ich dank Eurer Briefe Euren Geist kennenlernen konnte, ehe mein Herz Gefahr lief, durch den... äh … Rest von Euch im Sturm erobert zu werden.«
    Sie hatte versucht, dahinterzukommen, warum ihr Onkel so war, wie er war, und dies ohne Hintergedanken, sondern offenbar aus dem ehrlichen Verlangen heraus, diesem sonderbaren alten Mann, der praktisch ihr neuer Vater geworden war, eine gute und verständnisvolle Gehilfin zu sein. Daniel hatte acht Entwürfe seines Antwortbriefes an sie verfasst, denn er hatte genau gewusst, dass Isaac ihn eines Tages bei ihren Habseligkeiten finden und lesen würde. Er würde ihn ebenso genau lesen wie eine Herausforderung von Leibniz.
    Jedermann kennt Isaac als brillanten Mann und behandelt ihn als solchen, was ein Fehler ist; denn er ist ebenso fromm wie brillant, und seine Frömmigkeit hat Vorrang. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von einer äußerlichen, aufgesetzten Frömmigkeit, sondern von einem inneren Feuer, gleichsam einem Licht unter dem Scheffel, einer Sehnsucht, Gott durch die Anwendung gottgegebener Fähigkeiten näherzukommen.
    »Euer Rat war mir von unschätzbarem Wert, nachdem ich – Gott sei Dank – genesen und nach London zurückgekehrt war. Und falls ich Onkel Isaac überhaupt helfen konnte, möchte ich behaupten, dass das, was Ihr geschrieben habt, auch für ihn ein Segen war.«
    »Ich werde nicht mit angehaltenem Atem auf ein Dankeswort von ihm warten«, sagte Daniel in der Hoffnung, es werde sich nach einer sarkastischen Äußerung anhören. Sie besaß so viel Anstand, laut aufzulachen. Daniel gewann den Eindruck, dass sie es gewohnt war, dass Männer ihr gegenüber mit Indiskretionen herausplatzten, und es als großen Spaß betrachtete.
    »Ach, Unsinn! Ihr versteht ihn besser als jeder andere auf der Welt, Dr. Waterhouse, und er ist sich dessen durchaus bewusst.«
    Das war – obschon sie es mit deutlich sichtbaren Grübchen sagte – eigentlich eher eine Drohung als ein Kompliment. Überdies wusste Daniel, dass Catherine Barton es durchaus mit Bedacht und Überlegung gesagt hatte.
    Er beschloss, nicht

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