Principia
mehr darauf zu warten, dass Miss Catherine Barton Dr. Daniel Waterhouse förmlich vorgestellt wurde. Dazu würde es nicht kommen. Sie war mit fliegenden Bändern und Röcken über diese Hürde gesetzt und hatte ihn dazu gezwungen, ihr zu folgen. »Vielleicht würdet Ihr Euch gern ein wenig umsehen«, schlug sie mit spektakulär hochgezogenen Augenbrauen vor. Sie brauchte die zweite Hälfte des Satzes – wenn es Euch denn gelingt, den Blick von mir zu lösen - gar nicht laut auszusprechen. Eigentlich war sie eher präsentabel als schön. Aber sie besaß einige schöne Merkmale. Und sie war sehr gut gekleidet. Nicht in dem Sinne, dass sie zur Schau stellte, wie viel Geld sie ausgeben oder wie sehr sie à la mode sein konnte, sondern eher in dem Sinne, dass ihre Kleidung der Welt eine vollständige, freimütige und erschöpfende Darstellung alles dessen bot, was an ihrem Körper bewundernswert war. Als sie sich umdrehte, um ihm durch das Vestibül voranzugehen, wirbelten ihre Röcke auf eine Weise um ihre Gesäßbacken und ihre Oberschenkel, die Daniel vollständig über deren Konturen ins Bild setzte. Jedenfalls bildete er sich das ein, was auf dasselbe hinauslief. Schon seit er in London war, hatte er sich gefragt, was es mit dieser Frau auf sich hatte, das bedeutende und mächtige Männer veranlasste, im Kit-Cat Clubb entsetzliche Gedichte über sie zu rezitieren und glasige Augen zu bekommen, wenn im Gespräch ihr Name fiel. Er hätte es wissen müssen. Gesichter konnten berücken, verzaubern, kokettieren. Doch wo auch immer diese Frau hinging, fügte sie Männern schwere Wirbelsäulenschäden zu, und das vermochte nur ein Körper. Daher das Bedürfnis nach vielen klassischen Anspielungen in Liebesgedichten über Catherine Barton. Ihre Verehrer griffen auf Vorchristliches zurück, versuchten, etwas von dem auszudrücken, was sie empfanden, wenn sie griechische Statuen nackter Göttinnen betrachteten.
Davon gab es hier reichlich. Das Vestibül war ein ovaler Raum, gesäumt von Nischen, die leergestanden hatten, als Daniel das letzte Mal hier gewesen war. Die seither verstrichenen Jahrzehnte hatten Roger alle Zeit, die er nur brauchte, verschafft, um Raubzüge in klassischen Ruinen zu finanzieren oder Originalwerke in Auftrag zu geben. Während er Miss Catherine Barton aus dem Raum folgte, drehte sich Daniel um volle dreihundertsechzig Grad, um das Vestibül in sich aufzunehmen. Die beiden Diener, die auf Catherines Anweisung die Tür geöffnet hatten – beides junge Männer -, ließen sich dabei ertappen, wie sie auf das Hinterteil ihrer Herrin starrten. Beide wandten ruckartig den Blick ab und erröteten. Daniel zwinkerte ihnen zu, drehte sich um und folgte ihr hinaus.
»Ich habe dieses Haus schon tausendmal Besuchern gezeigt«, sagte sie, »und deshalb schwebt mir allerlei Geplapper auf der Zunge – alles vollkommen langweilig für Euch, Dr. Waterhouse, dem man das Haus nun wirklich nicht vorstellen muss! Ihr wisst, dass wir die zentrale Halle durchschreiten und dass die wichtigen Räume zur Linken liegen …« Sie sprach vom Speisesaal und der Bibliothek. »Und dies und jenes zur Rechten …« (Dienstbotenquartiere, Küche, Hintertreppe, Wirtschaftsräume) »und direkt vor uns der Salon. Was kann ich für Euch tun? Müsst Ihr Euch dorthin zurückziehen?«, fragte sie mit einem raschen Blick nach rechts. Sie wollte wissen, ob er urinieren oder defäkieren musste. »Oder möchtet Ihr gerne etwas von dort?« Dies mit einem raschen Blick nach links – mit dem sie sich danach erkundigte, ob er eine Erfrischung zu sich nehmen wollte. Sie hatte die Hände vor ihrem Mieder verschränkt und deutete mit winzigen Bewegungen ihrer Augen nach links oder recht, wodurch sie Daniel zwang, aufmerksam in diese hineinzuschauen. »Eigentlich gehörte es sich, dass ich Euch in den Salon führe, wo wir dann ausgiebig darüber diskutieren könnten, wer in welchem Sessel sitzt. Doch seit dem Krieg sind französische Manieren bei uns – besonders bei uns Whigs – nicht mehr sehr gefragt, und ich bringe es einfach nicht über mich, so förmlich mit Euch umzugehen, der Ihr wie ein zweiter Onkel für mich seid.«
»Ich würde mich nur zum Narren machen – ich, der ich zwanzig Jahre in einem Holzhaus verbracht habe!«, gab Daniel zurück. »Doch sagt mir bitte eins: Wenn wir in den Salon gehen, kann ich dann den -«
»Der Vulkan ist verlegt worden«, sagte sie, ganz feierlich, als befürchtete sie, Daniel könnte wütend
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