Pringle in Trouble
übrigen Tassen reichlich Zucker. «Ich muß zusehen, daß ich mir
immer wieder neue Energie zuführe. Manche von ihnen halten mich ganz schön in
Trab.»
«Ja, das glaube ich. Wie viele...
äh...?»
«Fünfundvierzig. Es waren
sechsundvierzig, aber gestern nacht ist eine gestorben. Hören Sie...»
Die Lernschwester, im Begriff zu gehen,
drehte sich noch einmal um.
«Ich hätte gern eine große Kanne Tee,
wenn die Angehörigen kommen. Und sagen Sie drüben Bescheid, daß die Tote noch
in der Kapelle bleiben soll, bis sie sie gesehen haben.» Das Mädchen nickte.
«Und die beiden Tassen...?» fragte Mr.
Pringle. «Bringen Sie die jetzt zu Mrs. Wilson und ihrem Sohn?»
«Ja», sagte das Mädchen.
«Falls die beiden miteinander sprechen
— könnten Sie mir bitte wiedererzählen, was sie sagen? Es handelt sich um
eine... polizeiliche Ermittlung...» sagte er, zu der Schwester gewandt. «Ich
soll — inoffiziell — ein Auge darauf haben, was vor sich geht.»
«Ich verstehe. Versuchen Sie, etwas
mitzubekommen, falls sie sprechen», sagte sie zu der Lernschwester. Das Mädchen
verschwand. «Was ist denn eigentlich los auf Aquitaine ? Wir haben
gehört, es sei jemand ermordet worden?»
Mr. Pringle war schockiert. Irgend
jemand mußte der Anordnung des Inspectors, absolutes Schweigen zu bewahren,
zuwidergehandelt haben. Als könne sie seine Gedanken lesen, sagte sie: «Einer
der Gärtner dort konnte gestern nicht zur Arbeit, weil ein Polizist vor dem Tor
stand und ihn wieder weggeschickt hat. Statt dessen kam er hierher und hat
seine Tante besucht — Mrs. Gillie, die mit dem blauen Band im Haar. Huhu!» rief
sie plötzlich und winkte heftig, und zwei, drei der alten Damen hoben ihre
Hände und winkten zittrig zurück.
«Einer der Gäste starb... unter nicht
ganz geklärten Umständen», sagte Mr. Pringle steif, «und deshalb hat die
Polizei Ermittlungen aufgenommen.»
«Reiches Pack...» Die Schwester
lächelte verächtlich. «Diese ganzen Diäten sind doch alles Quatsch... Sie
brauchten bloß aufzuhören, so viel zu essen.» Sie musterte ihn mit
professionellem Blick: «Sie stehen nicht auf süße Sachen, Creme-Schnittchen und
so was, oder?» fragte sie.
«Nein», gab er zu.
«Seien Sie froh», sagte sie. «Ich — also
ich könnte schon morgens zum Frühstück Kuchen essen...» Sie lachte laut und
herzlich. Mr. Pringle hatte eine Frage.
«Als Sie uns eben zu Mrs. Wilson
führten, haben Sie durchblicken lassen, als ob ihr Herrenbesuch wohl am
liebsten sei. Warum?»
Die Schwester lachte. «Haben Sie das so
gehört? Nun, ich bin darauf gekommen, daß es so sein könnte, weil sie, als sie
gestern eingeliefert wurde, mit den beiden Pflegern, die sie heraufgebracht
haben, geschäkert hat. Mir gefällt das übrigens. Einige von meinen Frauen hier
sind schon etwas verwirrt und wissen manchmal nicht mehr, ob Tag oder Nacht
ist, aber einen Mann erkennen sie immer noch, wenn sie ihn sehen.» Sie blickte
in gespielter Verzweiflung auf die teilnahmslose Schar. Plötzlich ertönte ein
durchdringendes Gejammer. Es klang zu gleich dringlich und gequält. Die
Schwester setzte abrupt ihre Tasse ab und sagte: «O nein, nicht schon wieder!»
Eilig rannte sie hinaus, auf das Bett einer der Frauen zu. «Warum läuten Sie
nicht, solange es noch Zeit ist. Ich habe es satt, Ihr Bett dauernd neu
beziehen zu müssen. Sie bekommen jetzt Papierbetttücher, bis Sie gelernt haben,
rechtzeitig Bescheid zu sagen.»
Mit einem Ruck hob sie die Frau unsanft
aus dem Bett und auf den Nachtstuhl — nicht brutal, aber erbittert. Sie schob
ihr das Nachthemd hoch und zog dann das beschmutzte Bett ab. Mr. Pringle wurde
übel, er wandte den Blick zur Seite.
«Wenn es Ihnen recht ist, können wir
jetzt gehen, Sir.»
«So schnell schon?»
«Meiner Mutter geht es gut. Ich denke,
sie wird sich hier schnell eingewöhnen. Ich sage ihr dann nur gerade noch auf
Wiedersehen.» Die Schwester kam ins Büro zurück. «Sie gehen?» Sie fragte
abwesend, schon damit beschäftigt, frische Wäsche herauszusuchen. Die
Lernschwester trat auf Pringle zu: «Sie haben nicht viel geredet», sagte sie.
«Er hat immer wieder gesagt, daß jetzt alles gut sei, und sie hat gefragt, wann
er das nächste Mal käme. Das fragen sie alle.»
Mr. Pringle ging mit ihr hinaus. Die
alte Frau auf dem Nachtstuhl wimmerte leise vor sich hin. Mit Blick auf das
unbelegte Bett in der Mitte sagte er: «Wenigstens haben Sie eine Patientin
weniger zu versorgen.»
Sie schüttelte den Kopf
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