Pringle vermisst eine Leiche
bedeckte das Land. Die alte Füchsin schnürte
in großem Bogen durch ihr Revier. Der Kater von «Macavity’s Weidegründen»
entdeckte sie schon von weitem. Mit gesträubten Nackenhaaren erwartete er ihr
Näherkommen, doch sie blieb auf Distanz. Sich mit Katzen auf einen Streit
einzulassen war unter ihrer Würde. In regelmäßigen Abständen hob sie ihre Nase,
um Witterung aufzunehmen, alle ihre Sinne waren gespannt. Sie strebte einem
ganz bestimmten Ziel zu; sie war früher schon einmal dort gewesen und wußte,
was sie dort möglicherweise finden würde. Heute hatte sie ihre beiden Jungen
dabei, um sie in der Kunst des Überlebens zu unterweisen und sie mit dem
Menschen als Wohltäter vertraut zu machen.
Ihr selbst war von ihrer Mutter
noch beigebracht worden, wie man Hühnerställe ausraubte, aber die gab es nun
schon lange nicht mehr. Das wichtigste war zu lernen, sich anzupassen. Die
alten Einwohner von Wuffinge hatten nach und nach die Hühnerhaltung aufgegeben,
und die neu Hinzugezogenen kauften ihr Geflügel gerupft und ausgenommen im
Supermarkt. Aber die Füchsin störte das nicht mehr, sie hatte eine neue
Möglichkeit entdeckt. Jetzt richtete sie den Kopf auf und stieß ein kurzes,
scharfes Gebell aus. Geräuschlos tauchten die Jungen aus dem Nebel auf. Dicht
hinter ihr begannen sie, den Anger zu umkreisen.
Michelle in Reynard’s Covert
war gereizter Stimmung. Die kurze Begegnung gestern in der Kirche mit Miranda
Kenny hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Michelles Aufgabe im
Frauenverein beschränkte sich darauf, Doris Leveret zur Hand zu gehen. Dies
wurmte sie. Liebend gern hätte sie als Mirandas Stellvertreterin und rechte
Hand fungiert, aber die hatte sie nicht darum gebeten. Es war wirklich demütigend!
Und gestern hatte sie nicht einmal gegrüßt.
Natürlich konnte man nicht
sagen, daß Michelle sie wirklich mochte, im Gegenteil, sie verspürte ihr
gegenüber sogar regelrecht Abneigung und hatte schon seit längerem beschlossen,
daß sie und Gerry die Kennys mit ihren eigenen Waffen schlagen würden. Dann
würde sie selbst die Herablassende spielen und endlich mit ihrer sogenannten
besten Freundin auf derselben Stufe stehen.
In der vergangenen Nacht hatte
sie lange wachgelegen und sich die Szene in der Kirche wieder und wieder vor
Augen geführt. Jedesmal war ihr eine neue, witzige Bemerkung eingefallen, und
jede war so umwerfend, daß Miranda nur dastehen und nach Luft schnappen konnte.
Wenn sie ihr doch bloß gestern eingefallen wären! Aber wahrscheinlich hätte sie
ohnehin nicht den Mut gehabt, sie zu äußern. Es war eben immer dasselbe. Die
anderen gaben sich locker und geistreich, Michelle Brazier stand stumm und
langweilig daneben.
Ihr ohnehin labiles
Selbstwertgefühl geriet durch diesen Gedanken heftig ins Schwanken. Der Grund
für den Umzug nach Reynard’s Covert war der Ehrgeiz gewesen, nach oben zu
kommen. Michelle war überaus stolz gewesen auf ihr neues Heim. Wochenlang hatte
sie sorgfältig die einschlägigen Zeitschriften studiert und dann jedes Zimmer ihres
Hauses genau nach Vorbild kopiert. Das Ergebnis ihrer Arbeit hatte sie tief
befriedigt — bis Miranda Kenny zu Besuch gekommen war.
Als sie die Einladung zum Tee
angenommen hatte, war Michelle überglücklich gewesen. Mrs. Kenny war sozial
engagiert, sie las den Independent, kurz gesagt, sie war jemand, der
zählte. Michelle hatte das gute gestickte Tischtuch aufgelegt, aber kaum hatte
Mrs. Kenny durch einen schnellen Blick festgestellt, daß die Decke aus Taiwan
stammte, hatte sie Michelle eine flammende Rede gehalten über die verschärfte
Ausbeutung in Schwellenländern der Dritten Welt.
Dann hatte Michelle sie durch
das Haus geführt. Miranda Kenny schien von dem, was sie sah, überwältigt. Bei
jedem neuen Zimmer hörte Michelle sie ausrufen: «Erstaunlich! Unglaublich!» Das
hatte ihr gutgetan. Die hübschen rosa Rüschengardinen, der rosafarbene Teppich
mit dem Blumenmuster, das gewagte Dunkelrot im Bad als Kontrast zum avocadogrün
gehaltenen Schlafzimmer — die ganze Anstrengung hatte sich gelohnt, wenn sie Mrs.
Kenny mit ihrem Heim hatte beeindrucken können.
Als sie wieder unten waren,
hatte Miranda Kenny sich im Schneidersitz auf dem von Wand zu Wand reichenden
Schaumstoff-Sofa niedergelassen und angefangen, Michelle einen Vortrag zu
halten: Die ganze Einrichtung sei Ersatz. Sie benutzte das deutsche
Fremdwort.
Da Michelle es nicht kannte,
hörte sie Miranda Kennys vermeintlicher Lobrede dankbar
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