Pringle vermisst eine Leiche
Pfarrer an, die anderen machten Mittagspause.
Doris Leveret redete gerade
aufgeregt auf den Pfarrer ein: «Ich möchte jetzt endlich auch einmal zu Wort
kommen...»
«Ich bin sicher, das Risiko ist
wirklich sehr gering... oh, hallo, Mr. Pringle...» Der Pfarrer lächelte.
Offenbar kam ihm Mr. Pringles Erscheinen sehr gelegen. «Zurück von Ihrer
Hausbesichtigung? Wie war es denn?» Mr. Pringle hatte die Frage gar nicht
gehört. Erstaunt deutete er auf die zwei Reihen aufgebockter Tische.
«Aber behindern die nicht die
Besucher, falls sie sich die Fresken aus der Nähe ansehen wollen?»
Mrs. Leveret setzte eine ernste
Miene auf. «Aber genau das ist ja unsere Absicht, Mr. Pringle. Sie glauben doch
wohl nicht, wir würden zulassen, daß irgend jemand sie berührt. Dazu
sind sie viel zu kostbar und empfindlich.»
«Aber ich dachte... das
Plexiglas...» Der Pfarrer schaltete sich ein. «Nein, das allein reicht zum
Schutz nicht aus. Wenn Sie wüßten, welcher Schaden tagtäglich in den Kirchen
angerichtet wird, die man offenläßt. Aber Sie können sich wahrscheinlich nicht
vorstellen, wie verbreitet Vandalismus heutzutage ist. Diese Wandgemälde müssen
jedenfalls sehr gut geschützt werden.»
«Ja, unbedingt», pflichtete ihm
Mrs. Leveret erregt bei. «Es ist ja nicht auszuschließen, daß es sich bei
diesen Fresken um die frühesten uns erhaltenen christlichen Bilder überhaupt
handelt.»
«Das wäre ja wirklich eine
Sensation.» Mr. Pringle war stolz, aus Wuffinge zu stammen.
«Immer vorausgesetzt, daß die
Experten die Echtheit auch tatsächlich bestätigen...» murmelte der Pfarrer.
«Sie sollen am Sonntag
eintreffen, habe ich gehört? Stimmt das? Sind schon die entsprechenden
Vorbereitungen getroffen worden?»
Der Pfarrer holte tief Luft.
«Ich werde die Damen und Herren am Samstag höchstpersönlich vom Bahnhof
abholen. Am Sonntag nach dem Abendgottesdienst können sie die Fresken dann in
aller Ruhe prüfen. Sie sehen, Mrs. Leveret, Sie brauchen sich darüber keine
Gedanken zu machen.» Doch sie hörte ihm schon gar nicht mehr zu, sondern
betrachtete kopfschüttelnd die Zweige und Efeuranken, die auf dem Kirchenboden
liegengelassen worden waren.
«Und jetzt gehen Sie und sehen
zu, daß Sie ein Mittagessen bekommen», sagte der Pfarrer energisch. «Außerdem
brauchen Sie auch mal eine Pause — die anderen Damen werden in nicht mal mehr
einer Stunde schon wieder zurücksein.»
Mr. Pringle beobachtete amüsiert,
wie der Pfarrer die widerstrebende Mrs. Leveret sanft, aber bestimmt vor sich
her aus der Kirche schob. Als er zurückkehrte, stieß er einen Seufzer der
Erleichterung aus. «Puh, das wäre geschafft.»
«Ganz schön anstrengend, die
liebe Mrs. Leveret, was?» bemerkte Mr. Pringle mitfühlend.
Der Pfarrer nickte. «Manchmal
muß ich mich schon sehr zusammenreißen, um ihr nicht die Meinung zu sagen. Die
Kirche kann es sich nämlich nicht leisten, Frauen wie sie, die praktisch rund
um die Uhr bereit sind, etwas zu tun — und zwar ohne Bezahlung —, zu
verlieren.»
«Aber wenn die Experten erst
einmal die Echtheit der Fresken bestätigt haben, hat die Gemeinde, was die
finanzielle Seite angeht, bestimmt ausgesorgt.»
«Glauben Sie?» fragte der
Pfarrer skeptisch.
«Also, was ich da gestern
gesehen habe... ich fand das großartig. Gemälde sind eine Art Steckenpferd von
mir. Ich habe zu Hause eine kleine Sammlung, an der ich viel Freude habe.»
«Und Ihrer Meinung nach...?»
Der Pfarrer wirkte in seinem Eifer wie ein ganz junger Mann.
«Meiner Meinung nach — aber ich
bin natürlich nur ein interessierter Laie — hat Lord Wuffa dem Dorf mit diesen
Fresken ein unschätzbares Erbe hinterlassen.» Der Pfarrer lächelte glücklich.
«Das hat er wohl und Gottes
Segen mit ihm! Danke für Ihren Zuspruch!»
Kurz vor sieben Uhr machte sich
Mr. Pringle auf den Weg zu den Browns. Seine Freude auf den Abend war
allerdings durch starke Kopfschmerzen sehr getrübt. Während des ganzen
Nachmittags hatte Mrs. Kennys Stimme vom Anger zu ihm herübergetönt und ihm den
Schlaf geraubt. Zwischendurch hatte auch noch Joyce angerufen, um mit ihm einen
neuen Termin für eine weitere Hausbesichtigung zu verabreden. Doch er hatte
abgelehnt. Er mußte sich zuerst einmal selber klarwerden über seine Wünsche.
Wollte er wirklich die ihm so vertraute, wenn auch zugegebenermaßen reichlich
heruntergekommene, Umgebung in London eintauschen gegen das ihm so gut wie
unbekannte Wuffinge des Jahres 1990?
Obwohl er
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