Pringle vermisst eine Leiche
die Menge
stand dicht gedrängt. Ein Summen von unterdrückter Erregung erfüllte das
Kirchenschiff. Doris Leveret, geborene Winkle, die so viele von ihnen jahrelang
herumkommandiert hatte, war ermordet worden von dem älteren Herrn, der am
Dienstag so urplötzlich in Wuffinge aufgetaucht war. Es klang zwar irgendwie
unwahrscheinlich, aber mußte wohl stimmen, denn Michelle Brazier hatte es
gesagt, und eine Zeitung hatte es gedruckt.
Daß dieser ältere Mann nun bei
Ted Brown am Harmonium stand, als sei nichts geschehen, erregte Erstaunen. Ob
die Polizei wohl gleich kam und ihn aus dem Gottesdienst heraus verhaften
würde? Es versprach, spannend zu werden.
Mr. Pringle nahm das Gewisper
und Geflüster zunächst gar nicht wahr. Er war damit beschäftigt, die Reihen mit
den Augen nach den Grünen Männern abzusuchen. Er wollte die beiden einmal ohne
Kostüm und Maske sehen. Aber sie schienen nicht gekommen zu sein, unter den
Anwesenden war jedenfalls keiner, der ihnen in Größe oder Körperbau glich.
Ein süßlicher Geruch von
Fäulnis hing in der Luft. Efeu, Farne und Wiesenblumen, die am Freitag und auch
gestern noch das Kirchenschiff in einen verzauberten, der Zeit entrückten Raum
verwandelt hatten, welkten jetzt zusehends. Die Frauen hatten sich bemüht, den
Prozeß durch Besprühen mit Nährlösung aufzuhalten, aber es hatte nicht viel
genützt.
«Psst!» zischte Ted, um Mr.
Pringles Aufmerksamkeit wieder zurück auf seine Pflichten zu lenken. Er sollte
Ted das Zeichen zum Einsatz geben, sobald der Chor sich zum Einzug
bereitmachte. Die blauen Roben mit den gestärkten Halskrausen begannen bereits,
sich am Eingang zu formieren.
«Sie kommen!»
Unglücklicherweise überstieg das Orgelsolo, das Joyce als Präludium vorgesehen
hatte, Teds Fähigkeiten bei weitem. So hatte er statt dessen aus seinem
schmalen Repertoire einen Marsch von Souza ausgewählt, den er nun voller
Schwung zu intonieren begann. Die Sitzplatzinhaber sprangen daraufhin eilig
auf, gleichzeitig setzte sich der Chor in Bewegung, es entstand ein
Riesendurcheinander. Die Chormitglieder versuchten tapfer, sich durchzukämpfen,
und langten schließlich einer nach dem anderen erschöpft an den Stufen zur
Apsis an. Einige der grauhaarigen Chordamen warfen giftige Blicke in Teds
Richtung. «Sie sind da», verkündete Mr. Pringle unnötigerweise, «sie nehmen
Aufstellung», ein Ausdruck, der nicht ganz passend war angesichts des immer
noch andauernden Hin und Her.
Um den nicht geringen Lärm zu
übertönen, stimmte Ted ein gewaltiges Arpeggio an bis hinunter zur verminderten
Septime, das er dann unvermittelt aufgab zugunsten eines C-Dur-Akkords. Doch
endlich kam die verwirrte Gemeinde zur Ruhe, der Pfarrer erschien und stieg auf
die Kanzel.
Wie vielen seiner Gemeindemitglieder
sah man auch ihm an, daß er in der Nacht kaum geschlafen hatte. Er nickte Ted
kurz zu. Daß Mr. Pringle wieder da war, schien ihn nicht weiter zu erstaunen.
Ganz allmählich begann es den helleren unter seinen Schäfchen zu dämmern, daß,
wenn dieser ältere Herr unschuldig war — und seine Anwesenheit hier heute
morgen, frei und ohne Handschellen, deutete ja darauf hin — , jemand anderer
der Täter sein mußte. Einer von ihnen.
Instinktiv rückte jede Familie
zusammen. Ellenbogen wurden eingezogen, um nur keine körperliche Berührung mit
dem Nachbarn zu haben. Fast schon vergessene Feindschaften wurden wieder
virulent, Frauen warfen sich quer durch das Kirchenschiff böse Blicke zu,
Männer schauten finster und drohend. Es schien, als sei die Temperatur plötzlich
um ein paar Grade gefallen, der Geist brüderlicher Liebe verweht.
Mr. Pringle bemerkte, daß die
alten Familien offenbar in vollständiger Besetzung erschienen waren. Kinder,
die seit der Taufe die Kirche nicht mehr von innen gesehen hatten, rutschten
unruhig auf ihren Stühlen herum. Mr. Pringle entdeckte etliche bekannte
Gesichter in der Gemeinde. Ruby aus der gemeindeeigenen Siedlung war von einem
Trupp Männer umgeben, die sich schon fast lächerlich ähnlich sahen — alles
Runkles offenbar. Direkt daneben saß Elsie, und der Mann zu ihrer Linken mußte
Eddie sein — du meine Güte, war der alt geworden!
Der Pfarrer begann mit der
Lesung.
«Wenn der Böse sich abwendet
von seiner bösen Tat und hinfort tut, was gut und gerecht ist, dann wird er
seine Seele vor der Verdammnis retten...»
Die Gemeinde lauschte mit mehr
als der üblichen Aufmerksamkeit, doch bei dem nun folgenden
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