Pringle vermisst eine Leiche
wo willst du denn
eigentlich hin?»
«Ich will nachsehen, ob es hier
irgendwo eine Brechstange gibt.» Aber er hatte kein Glück — wie eigentlich auch
nicht anders zu erwarten. «Dann muß ich zum Auto», sagte er. «Hinten im
Kofferraum muß ein Montiereisen liegen.»
Als er zurückkam, machte er
sich sofort daran, von dem ersten Bild auf der linken Seite die Abdeckung
abzunehmen. Sie traute ihren Augen nicht.
«Wenn jetzt der Reverend
kommt!»
Mr. Pringle knurrte nur, hob
die schwere Platte herunter und lehnte sie gegen eine Kirchenbank. Dann begann
er, die Plexiglasscheibe abzuschrauben.
«Ich hoffe, Reg Terson wird mir
dankbar sein. Wenn nicht, dann ist er mir eine Erklärung schuldig.»
«Dankbar?» Sie begann
allmählich, an seiner Vernunft zu zweifeln. «Ich verstehe wirklich nicht»,
sagte sie leicht gereizt, «wieso du meinst, daß du dich nun auch noch mit
diesen Wandbildern befassen müßtest. Ich weiß ja, daß Malerei dich
interessiert, aber schließlich gibt es hier zwei Restauratoren, die sich seit
Monaten um nichts anderes kümmern. Und gestern sind eigens Experten
angereist...»
«So heißt es», sagte er knapp.
«Was willst du denn damit
sagen? Joyce hat uns doch erzählt, daß sie später abfahren mußten als
eigentlich geplant und der Pfarrer sie zum Bahnhof bringen wollte.»
«Joyce hat nur wiederholt, was
man ihr erzählt hat», entgegnete er und drehte unbeirrt weitere Schrauben los.
Mavis wurde von Minute zu Minute nervöser.
«Mir ist immer noch nicht klar,
was du eigentlich bezweckst — ich hoffe nur, du hast nicht vergessen, daß
draußen auf dem Anger ein Polizei-Caravan steht. In der letzten Viertelstunde
hast du mindestens ein halbes Dutzend Gesetze übertreten.»
«Jetzt halt mal bitte fest, ich
löse die letzte Schraube.»
«Ich soll dir auch noch helfen?
Dann mache ich mich ja der Mittäterschaft schuldig!»
«Mavis, wenn sie runterfällt,
kann sie zerbrechen», sagte er streng.
«Na, schön.» Sie faßte die
Scheibe mit beiden Händen. «Jetzt sind überall meine Fingerabdrücke drauf»,
sagte sie resigniert. «Wenn sie mich erwischen, muß ich gestehen.» Mr. Pringle
stieg von seinem Hocker herunter.
«So, jetzt kann ich sie nehmen.
Und vielen Dank.» Er lehnte die Scheibe vorsichtig gegen die Wand. «Und jetzt
werde ich mir mal ansehen, was sich unter diesem angeblichen oder tatsächlichen
spätmittelalterlichen Wandgemälde verbirgt.» Er zog sein Taschenmesser hervor.
«Du willst doch nicht etwa mit
dem Messer an das Gemälde?» fragte sie entsetzt. «Du mußt verrückt sein — das
ist ein unersetzliches Kunstwerk!»
Er schüttelte den Kopf. «Ich
fürchte, nein. Das ist meiner Meinung nach nur eine Übermalung, die dazu
diente, etwas zu verdecken.» Er schob die Klinge seines Taschenmessers unter
die nur locker aufliegende Farbschicht und hob vorsichtig nacheinander zwei
Partikelchen ab. Es war zu erkennen, daß darunter eine weitere Farbschicht lag.
«Siehst du...» sagte er zu Mavis, «genau, wie ich mir dachte. Mal überlegen, wo
ich diese Farbsplitter am besten aufbewahre...» Er sah sich suchend um, griff
dann nach einem Gesangbuch und legte sie behutsam hinein. «Da sind sie erst
einmal gut aufgehoben. Ich möchte sie Experten zeigen.»
«Aber die sind doch gestern
abend alle abgefahren.»
«Ich meine, real existierende
Experten, Mavis, nicht Phantasiegestalten.»
«Willst du etwa behaupten, daß
der Reverend... gelogen hat?»
«Ich fürchte, ja.»
Ihr Unbehagen wuchs. In was
waren sie da hineingeraten? «Du willst doch das Bild nicht etwa noch mehr
beschädigen?» rief sie, als sie sah, daß er begann, weitere Farbplättchen
abzuheben. «Ich glaube, du weißt gar nicht mehr...» Er hatte jetzt auf einer
Fläche von etwa fünf Quadratzentimetern die obere Farbschicht abgehoben und
hörte auf. Mavis betrachtete sich händeringend den neuen Schaden, den er
angerichtet hatte. «Es wird ein Vermögen kosten, das zu restaurieren», rief sie
verzweifelt, doch er reagierte gar nicht, er war völlig versunken in die
Betrachtung der kleinen Ecke, die er freigelegt hatte.
«Endlich! Dies hier dürfte das
echte Fresko sein!» rief er glücklich. Was mochte es bloß darstellen? Ach, wenn
er doch bloß weitermachen und die ganze Übermalung jetzt gleich herunterholen
könnte... Plötzlich wurde er nachdenklich. Wieso hatten die Restauratoren das
nicht gemacht? Wieso hatte man nicht die echten Fresken gezeigt? Er beugte sich
vor in dem vergeblichen Bemühen,
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