Pringle vermisst eine Leiche
frisch, als seien sie gestern erst
gemischt worden.»
«Und es ist auch nicht nur
wieder eine Übermalung von etwas anderem wie hier oben?» fragte sie skeptisch.
Er antwortete nicht. Einige
bange Sekunden lang herrschte Totenstille, und als er wieder sprach, klang
seine Stimme merkwürdig tonlos.
«Nein, nein... Keine
Übermalung, das hier ist echt.» Er wurde so leise, daß sie Mühe hatte, ihn zu
verstehen. «Das also sind sie...» Sein Lachen klang bitter. «König Wuffas
Gemälde... Was Granny wohl dazu gesagt hätte...?» Mavis gefiel sein
Stimmungsumschwung nicht.
«Achtung», rief sie ihm zu,
«ich komme zu dir hinunter.»
In der Ermittlungszentrale
herrschte wieder relative Ruhe, der Strom war zurückgekehrt, die Informationen
wieder verfügbar. «Wir haben alle verloren geglaubten Daten von einer
Master-Diskette abrufen können», erklärte einer der Beamten stolz.
«Woher Sie sie abrufen, ist mir
egal. Hauptsache, sie stehen mir zur Verfügung, wenn ich sie brauche»,
antwortete Detective Inspector Andrews ungnädig.
«Jawohl, Sir.»
«Im Moment bekommen wir gerade
jede Menge neue Informationen überspielt», sagte Detective Sergeant Mather. Er
stand neben dem Drucker und überflog den Papierausstoß. «Oh, sieh mal an, ein
paar unserer Landeier sind vorbestraft...»
«Irgendein besonders dickes
Ding dabei?»
«Nein, nur das Übliche.
Geschwindigkeitsübertretungen, Überziehung des Kreditrahmens, Wilderei.» Mather
ließ einen weiteren Meter Papier durch die Finger gleiten. «Ah... Der gute Mr.
McCormack ist doch nicht ganz so offen zu uns gewesen, wie er behauptet hat. R.
L. McCormack ist gar nicht sein richtiger Name... Er heißt eigentlich Robert
Simmons. Aber manchmal nennt er sich auch Bob Reeves oder R. D. Davenport...»
«Über den will ich mehr
wissen!» sagte Andrews. Die Beamtin am Computer gab einige Befehle ein. Auf dem
Bildschirm erschienen die gewünschten Informationen.
«Geboren 1955...» referierte
Mather. «Offenbar schon früh auf Kunstfälschungen spezialisiert...»
«Das wissen wir doch längst.»
«Stimmt. Aber hier: ‘82 eine
Verurteilung wegen Hehlerei. Das sollten wir dem Pfarrer stecken, vielleicht
kuriert ihn das von seinem grenzenlosen Vertrauen.»
«Das eilt nicht», entschied
Andrews. «Jetzt den anderen, diesen Winstead! Und ich möchte das Labor
sprechen...»
Das Telefon klingelte, und
Tracy Tyler nahm den Hörer ab.
«Sir», rief sie, nachdem sie
wieder aufgelegt hatte, «das war Mrs. Brown. Sie sagte, sie komme gerade von
Mr. Leveret und ob sie Sie sprechen könne.»
«Wieso?»
«Er hat wohl irgendwie
angedeutet, daß er und Mrs. Leveret in Wirklichkeit gar nicht verheiratet
waren.»
Mr. Pringle und Mavis saßen auf
einer der Steinbänke, jeder hatte eine Kerze neben sich. In ihrem flackernden
Licht wirkten die nackten kleinen Gestalten an den Wänden fast lebendig.
«Im siebten Jahrhundert gab es
also auch schon Wandschmierereien», sagte Mavis sichtlich schockiert.
«Vielleicht sind sie auch aus
dem sechsten Jahrhundert. Ich weiß nicht genau, wann König Wuffa gelebt haben
soll», entgegnete Mr. Pringle. «Eine Zeitlang hat man übrigens geglaubt, daß
Sutton Hoo ihm zu Ehren errichtet worden sei.»
«Was ist Sutton Hoo?»
Mr. Pringle lehnte sich gegen
die Wand, deren Bemalung als Illustration für das Kamasutra hätte dienen
können.
«Ungefähr dreißig Kilometer von
hier haben Archäologen Ende der dreißiger Jahre unter einem Erdhügel eine
ausgedehnte Grabkammer entdeckt. Sie enthielt ein hölzernes Boot von ungefähr
dreißig Meter Länge. Wie sie es damals geschafft haben, es über Land zu
transportieren, weiß man bis heute nicht, vielleicht benutzten sie die Stämme
junger Bäume als Rollen. Im Innern des Schiffes befand sich ein riesiger Schatz
von Gold, Silber und Edelsteinen. Es ist alles im British Museum zu
besichtigen. Man fand in der Grabkammer jedoch kein Skelett und auch keinerlei
Elin weis, wer da einmal auf so prächtige Art und Weise bestattet worden ist.
Es gibt übrigens ein Heldenepos mit dem Titel ‹Beowulf›, das im achten
Jahrhundert entstand, in dem das Begräbnis beschrieben ist, aber auch dort wird
der tote königliche Krieger nicht mit Namen genannt.»
«Aber als das Epos entstand,
war Wuffa doch schon lange tot?»
«Ja.»
«Glaubst du, daß man so einen
alten Lüstling noch in einer Dichtung verewigt hätte? Bei dem wäre man doch
froh, wenn man ihn nach seinem Tode verbrennen und anschließend
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