Prinz Charming
müßte ich alle Männer hassen.«
»Oh, Sie sind noch viel zu jung, um irgend jemanden zu hassen«, entgegnete er lachend.
»Und wie alt sind Sie?«
»Alt genug, um die Welt zu hassen.« Damit war diese Diskussion für ihn beendet. Er griff nach ihrer Hand, zog sie hinter sich her, und sie mußte wieder laufen, um mit ihm Schritt zu halten. Glücklicherweise verdichtete sich das Gedränge an der Straßenecke, und so wurde er zu einer langsameren Gangart gezwungen.
Fest umschlossen seine Finger ihre Hand, und Taylor fühlte sich geborgen. Eine interessante Empfindung, überaus angenehm ... So sicher hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Allmählich verflog ihre Angst.
Sie bahnten sich einen Weg durch das Chaos. Am Kai standen unbeaufsichtigte Karren, vollgepackt mit Truhen und Koffern. Unzählige Straßenhändler priesen schreiend ihre Waren an. Vor dem Fahrkartenschalter hatte sich eine lange Warteschlange gebildet. Lucas führte Taylor um die diversen Hindernisse herum, und sie bemerkte mehrere Taschendiebe, zwischen acht und achtzig Jahre alt. Verstohlen schlängelten sie sich durch das Gedränge, aber keiner wagte sich in Taylors Nähe. Vermutlich wurde das Diebsgesindel von Lucas’ furchteinflößender Erscheinung abgeschreckt.
Immer wieder spürte Taylor die neugierigen Blicke einiger Gentlemen. Weil sie glaubte, ihr Ballkleid würde Aufsehen erregen, zog sie ihren Umhang enger um die Schultern und hielt ihn vor der Brust zusammen. Das entging Lucas nicht. »Frieren Sie?«
»Nein, ich versuche nur, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erwecken. Meine Kleidung eignet sich nicht für eine Schiffsreise.«
Nachdenklich musterte er sie und entschied, daß es völlig egal war, was sie trug. Ihre langen weizenblonden Locken, die großen blauen Augen, die majestätische Haltung und der anmutige Gang mußten alle Männerblicke auf sich ziehen. Selbst wenn sie wie eine Bettlerin gekleidet wäre, würde man sie bewundernd mustern. Das Interesse, das man ihr entgegenbrachte, gefiel ihm ebenso wenig wie ihr. Eifersucht stieg in ihm auf, wenn er auch nicht wußte, warum. Zum Teufel, er kannte sie doch kaum. Aber er war mit ihr verheiratet und verpflichtet, sie zu beschützen.
Als sie um eine Ecke bogen, entdeckte Taylor die Emerald und hielt den Atem an. Was für ein wundervolles Schiff ... Der Mond hüllte es in mystisches goldenes Licht, völlig reglos schien es zwischen schäumenden Wellen zu liegen, unangreifbar wie ein Gebirge, einladend wie eine freundliche Insel an einem Sonntagmorgen.
Fasziniert blieb Taylor stehen und starrte hinüber. »Wie schön, Mr. Ross ...«
»Ja, ein prächtiges Schiff«, stimmte er zu.
»Es muß mindestens fünftausend Tonnen wiegen.«
»Nicht ganz zwei«, verbesserte er sie. »Wir sind hier nicht in einer Kirche, Taylor, also müssen Sie nicht flüstern.«
Sie wußte nicht, daß sie vor lauter Ehrfurcht ihre Stimme gesenkt hatte, und jetzt mußte sie über sich selbst lachen. »Die Emerald sieht geradezu königlich aus, nicht wahr?«
Obwohl er schon mit größeren, imposanteren Schiffen gefahren war, wollte er ihre Begeisterung nicht dämpfen. Er hätte es bedauert, wäre der freudige Glanz in ihren Augen erloschen. Prüfend schaute er sie an. Taylor entwickelte sich zu einem Rätsel. Wie er wußte, entstammte sie einer steinreichen Familie, und er vermutete, daß sie alle nur erdenklichen Privilegien genossen hatte. Trotzdem benahm sie sich wie ein Bauernmädchen, das zum erstenmal in eine Großstadt kam.
Als sie seinen Blick spürte, fragte sie: »Halte ich Maulaffen feil, Mr. Ross?«
»Nur ein bißchen.«
»Leider bin ich nicht besonders weltgewandt«, gab sie lächelnd zu.
»Haben Sie England noch nie verlassen?«
»Ich war oft in Schottland, aber das ist meine erste große Schiffsreise, und ich freue mich sehr darauf.«
»Hoffentlich werden Sie nicht seekrank.«
»Bestimmt nicht. Ich bin ziemlich robust, und ich werde niemals krank.« Skeptisch runzelte er die Stirn, und sie beschloß das Thema zu wechseln. »Mein Großvater Taylor und sein Schwager Andrew sind mit der ersten Emerald gefahren.
Damals war Andrew noch zu jung, um sich später an dieses Abenteuer zu erinnern. Aber Großvater erzählte viele Geschichten über das Leben an Bord und seine Freundschaft mit dem berüchtigten kurzsichtigen Piraten namens Black Harry. Haben Sie schon einmal von ihm gehört, Mr. Ross?«
Lucas schüttelte den Kopf. »Wissen Ihr Großvater und Ihr Onkel, daß Sie
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