Prinz für die Köchin
ihrer Mutter hören, die kalt und kristallklar fragte: »Was ist bloß los mit dir? Du bist nicht du selbst, Imogen.«
Sie schüttelte diese imaginäre Warnung ab, stieg aus, schlug die Tür zu und pfiff nach Monty, der in die der Lichtung entgegengesetzte Richtung davongetrottet war. Dann zog sie den Regenmantel über ihr Trägerkleid und sah noch einmal auf die Uhr. Sie würde sich beeilen müssen, wenn sie nicht zu spät kommen wollte. Doch das Problem war, dass es ihr schwerfiel, auch nur ein kleines Stück vom Auto fortzugehen. Es erschien ihr übermenschlich und sogar übernatürlich – wie Fliegen. Ihr war schwindlig – es fühlte sich an, als sei sie vollkommen betrunken. Imogen stützte beide Hände auf den Wagen und schloss die Augen. Was war das? Freudige Erregung? Eine Panikattacke? Oder ein bisschen von beidem?
Widerstrebend dachte Imogen, dass Faustina gar nicht so unrecht gehabt hatte. Vielleicht war es dumm gewesen, einem Treffen hier mitten in der Natur zuzustimmen – wenn auch nicht gerade aus den Gründen, die ihre Freundin angeführt hatte. Nein, sie fürchtete sich vor etwas anderem. Vor etwas in ihr selbst.
Ach, Herrgott noch mal, jetzt sei nicht so ein Weichei, schalt sie sich. Man könnte meinen, du hättest noch nie ein Date gehabt. Ja, aber … das hier war doch nicht einfach nur ein Date, oder? Es war das Date, der flammende Moment der Erkenntnis, der durchaus auch für den Anfang … vom Rest ihres Lebens stehen könnte. Oder – wenn es nicht klappte – für die niederschmetterndste Enttäuschung, die sie jemals erlebt hatte. Ungeduldig schüttelte sie den Kopf, während sie Montys Leine an seinem karierten Halsband festhakte. Du übertreibst total, sagte sie sich. Es ist ein Picknick, keine Abschlussprüfung, schon vergessen? Also los! Er ist dort drüben, er wartet auf dich! Geh zu ihm! Sie zwang sich, den Abhang hinunterzugehen und unter dem immer düsterer werdenden Himmel auf das Kiefernwäldchen zuzuhalten.
Bald fand sie sich zwischen den Bäumen wieder, zerdrückte Kiefernnadeln unter den Füßen. Moment , dachte sie erschrocken. War da ein Geräusch hinter ihr? Das Verlangen, einen Blick über die Schulter zu werfen, war überwältigend. Genau wie bei Orpheus, dachte sie. Sie biss sich auf die Lippe, wartete und lauschte angespannt, ob er ihren Namen rufen würde. Kein Laut. Als sie sich schließlich umdrehte, war niemand zu sehen. Die verabredete Stunde war jetzt da, und er wartete bestimmt auf der Lichtung auf sie.
Ein wahnsinniger Puls begann in ihrem Magen zu hämmern. Lauf! Lauf zu ihm, jetzt gleich! Sie wusste, was sie wollte: wieder geküsst werden, zu fühlen, wie seine Arme sie umschlangen, und den liebkosenden Druck seines Gesichts an dem ihren zu spüren, ihn ganz fest zu halten und ihre Hände unter seine Jacke zu schieben, um an seinen warmen Körper zu kommen, an die Unverrückbarkeit seiner Gegenwart.
Ja, aber wenn nun … wenn sich nun seine Identität, einmal enthüllt, als Schock erwies, als unwillkommene Überraschung? Lächerliche, kindische Ängste begannen sie von allen Seiten zu bedrängen. Sie dachte an die Schöne und das Biest, und auch an Georgette Heyers Venetia, deren Damerel zuerst eine erschreckende Gestalt war – ein grässlicher Mann, der zu allem fähig war. Ja, okay, beide Geschichten endeten ganz wunderbar, aber das waren ja auch bloß Geschichten, in denen die Heldinnen blutrünstige Bestien durch Zauberei in Prinzen verwandelten, und verkommene Verführer in liebevolle Ehemänner. Wohingegen sie, Imogen, sich hier in einer sehr realen Lage befand, einer, von der sie im Moment nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte.
Sie machte noch ein paar Schritte, dann sah sie sich nach Monty um, den sie von der Leine gelassen hatte. Er spielte ganz in der Nähe, wetzte im Kreis um einen Baum herum und schaffte es dabei irgendwie, eine Aura feierlicher Würde zu wahren. Ihre Beine fühlten sich ziemlich wackelig an. Sie ging direkt auf den Baum zu und hielt sich daran fest, drückte die Wange an die kratzige Rinde. Jetzt galt es, eine Entscheidung zu treffen.
Plötzlich kam sie sich ungeheuer verwundbar vor. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie liebte ihn. Sie hatte Angst davor, ihn zu sehen. Oh, das alles ergab überhaupt keinen Sinn.
Sie hatten ihre Handynummern nicht ausgetauscht, dachte sie bei sich, weil eine Art unausgesprochene Übereinkunft bestanden hatte, dass sie selbstverständlich beide da sein würden. Also hatte
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