Prinz für die Köchin
Abständen zu ihrem Computer hinüber. Jeden Augenblick rechnete sie damit, jenes himmlische Pling! zu vernehmen, das verkündete, dass eine E-Mail eingegangen war.
Carême war der Meister extrem barocker Torten gewesen, pièces montées genannt. Aufmerksam betrachtete Imogen die Illustrationen des Buches: Da gab es Torten in Gestalt reich verzierter Ruinen, eine goldene Harfe, eine chinesische Pagode, ein Füllhorn voller Früchte, einen Wasserfall …
Vielleicht wäre das Füllhorn ja etwas, was sie als Hochzeitstorte für Daphne versuchen könnte? Aber andererseits sah die Harfe so toll aus. Morgen früh würde sie Di anrufen und sie um Rat fragen.
Imogen lächelte vor sich hin. Ihre Mutter war in bester Stimmung nach Hause gefahren, und in ein paar Wochen würde ihre geliebte Di eintreffen, um bei der Hochzeit von Daphne dabei zu sein. Und dann gab es da noch etwas, worauf sie sich freuen konnte – ihren Geburtstag.
Bunny hatte vorgeschlagen, eine Party in ihrer Villa zu feiern, und Andeutungen über eine Drei-Tages-Orgie mit Essen, Trinken und Tanzen gemacht. Amaury, Mitch, Gene, Enzo und Faustina würden ebenfalls kommen. Noch nie hatte jemand viel Aufhebens wegen Imogens Geburtstag gemacht. Es war nett von Bunny, so einen Wirbel veranstalten zu wollen, und Imogen sann beglückt darüber nach, dass ihre amerikanische Freundin und der Rest der Saint-Jean-Gang ihr allmählich wie eine zweite Familie vorkamen. Und das Sahnehäubchen auf dem Kuchen war der zusätzliche Gast, den Imogen zu Bunny mitzubringen gedachte. Weil sie nämlich jeden Moment eine Nachricht von ihm erwartete, in der er das morgige Treffen bestätigte. Und diesmal würde sie ganz bestimmt nicht davon weglaufen.
Mittlerweile war es nach Mitternacht. Sie war so in das Buch vertieft gewesen – vielleicht hatte sie das Mailsignal ja nicht gehört. Imogen stand auf, um ihren Posteingangsorder zu überprüfen: Noch immer nichts von Valentinskuss.
Das war ein bisschen verblüffend. Bestimmt hatte er doch ihre Mail inzwischen erhalten? Doch Imogen machte sich keine Sorgen – bestimmt hatte er zu tun; er würde später antworten. Abgesehen von ihren geheimnisvollen Begegnungen oder ihren Tagträumen war er schließlich keine mystische Märchengestalt; ganz bestimmt hatte er einen Beruf, ein ganz normales Leben. Zum ersten Mal ertappte sie sich dabei, dass sie sich darüber Gedanken machte – darüber, was er wohl jeden Tag so machte. Sie schickte ihm eine sehr kokette Nachricht und schlief in dem sicheren Wissen ein, dass er bis morgen früh geantwortet haben würde.
Doch das war nicht der Fall.
Jetzt wurde Imogen allmählich unruhig. Als sie mit Monty spazieren ging, bemerkte sie einen dramatischen Wetterumschwung. Es war, als wäre das ganze Riviera-Licht schlagartig aus der Atmosphäre gesaugt worden. Der Sommerregen machte mit pladdernder Hartnäckigkeit Ernst. Die Palmen auf der Promenade wirkten geschunden und müde vor dem bleigrauen Himmel. Die Bewohner von Saint-Jean zogen sich in ihre Behausungen zurück, mit Ausnahme der pflichtbewussten Hundebesitzer des Ortes, die ihre in elegante Regenmäntelchen gehüllten und oft auch gestiefelten Schützlinge weiterhin vorführten und einander trotz des schlechten Wetters fröhlich grüßten.
Als Imogen und Monty am Chez Michel vorbeikamen, schaute sie durchs Fenster: Unter Daphnes Aufsicht wurde neues Bistro-Mobiliar im Speisesaal aufgestellt. Die pâtissière winkte ihr zu und formte mit den Lippen die Worte »bis nachher« . Imogen winkte zurück und gab sich alle Mühe, heiter und unbeschwert zu wirken.
Im Laufe des Tages schickte sie weitere Nachrichten, fragte, wo er sei und wieso er nicht antworte – ohne dass ihr auch nur eine einzige E-Mail zuteilwurde. Trotzdem ging sie am Abend ins La Sirène und wartete vergeblich auf ihn. Während des nächsten Tages und der darauffolgenden Nacht versuchte sie mit wachsender Beklommenheit immer wieder, ihn per Mail zu erreichen. Nichts. Tödliche Funkstille.
Es gab nur eine einzige mögliche Erklärung, dachte sie verzweifelt. Er hatte ihr nicht verziehen. Er würde ihr niemals verzeihen. Sie hatte alles ruiniert, indem sie ihn versetzt hatte, und ihn für immer verloren.
Am Ende dieser qualvollen Woche war der Schmerz, der in ihrer Brust nagte, unerträglich, und wenn die Tränen kamen, dann mit einer Gewalt, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. In einem dichten Vorhang strömten sie ihr aus den Augen, und wenn sie gelegentlich
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