Prinzessin auf Probe?
sich auch hier fast nur auf das Nötigste beschränkt. Burgunderfarbene Ledermöbel, dunkles Mahagoniholz sowie Brauntöne dominierten die Räume und ließen sie sehr maskulin wirken.
Als sie zum Wohnzimmer ging, spürte sie, wie der Fußboden unter ihren nackten Füßen vibrierte. War das Musik?
Sie lauschte, und als sie die Tür zum Flur öffnete, konnte sie es deutlicher hören: Klaviermusik drang aus dem Ostflügel.
Sollte sie in ihr Zimmer zurückgehen – oder Carlos aufwecken? Doch Stolz hielt sie davon ab, zu ihm zu gehen, da er es auch nicht für nötig gehalten hatte, mit ihr zu reden, als er zurückgekommen war.
Die Neugier siegte, und sie trat in den Flur. Wer spielte um diese Uhrzeit Klavier … und dann noch so gut? Sie nickte einem Sicherheitsposten zu und folgte der Musik. Hatte Shannon nicht erwähnt, dass sie einmal Musik unterrichtet hatte? Vielleicht konnten sie sich noch ein bisschen unterhalten, wenn Shannon auch nicht schlafen konnte, oder sie würde einfach nur dem Klavierspiel lauschen, bis sie wieder müde wurde.
Leise ging sie durch die Flure, die Treppen hinunter, bis sie vor einer angelehnten Tür stehen blieb und in das große Musikzimmer blickte. Es war ein imposanter Raum, fast ein Ballsaal, mit Kristallleuchtern und einer getäfelten Decke. Neben einer vergoldeten Harfe stand der Steinway-Flügel, und daran saß nicht Shannon, sondern …
Carlos?
Lilahs Neugier verwandelte sich in etwas anderes, sehr viel Emotionaleres. Er saß auf dem schwarzen Klavierhocker, sein Jackett und die Krawatte hingen über der Harfe. Offensichtlich war er noch nicht im Bett gewesen, seit er aus der Klinik zurück war.
Mit abwesendem Gesichtsausdruck beugte er sich über das Klavier, während seine Finger über die Tasten flogen. Er spielte ein klassisches Stück, und es klang so intensiv, so schwermütig, dass Lilah Tränen in die Augen traten.
Um ihn nicht zu stören, schlich sie zu einer Nische neben einem der Fenster. Sie fühlte sich Carlos in diesem Moment näher als je zuvor. Jetzt gab es keine Mauern mehr zwischen ihnen, sondern nur die puren Emotionen von jemandem, der das Schlimmste, was das Leben zu bieten hatte, erlebt hatte und sich Note für Note zurück ans Licht hangelte.
Carlos ließ die Hände auf den Tasten ruhen, als die letzten Töne verstummten. Lilahs Kehle war wie zugeschnürt, und sie traute sich kaum zu atmen – aus Angst, die Stimmung zu zerstören.
Langsam drehte Carlos den Kopf zu ihr herum. „Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe. Du hast so fest geschlafen, als ich nach dir geschaut habe.“
Er war in ihrem Zimmer gewesen? Wie lange hatte er sie beobachtet? Es rührte sie, dass er nicht einfach verschwunden war, sondern nach ihr gesehen und sie dann hatte schlafen lassen. Zögernd ging sie zu ihm.
„Das macht nichts. Ich konnte sowieso nicht mehr schlafen“, meinte sie und strich über den Flügel. „Wieso weiß ich nichts davon, dass du so gut Klavier spielen kannst?“
Carlos drehte sich auf dem Klavierhocker herum, während er sie eingehend musterte. „Es kam nie zur Sprache, und du weißt ja, dass ich nicht sonderlich gesprächig bin.“
„Was für eine Untertreibung.“ Sie blickte ihn über das Klavier hinweg an. „Erzähl mir mehr von dir.“
Die Luft zwischen ihnen schien auf einmal zu vibrieren, so wie eben noch die Töne, die er dem Instrument entlockt hatte.
„Was möchtest du wissen, Lilah?“
„Wer ist dein Lieblingskomponist?“
„Was? Das soll die große Frage sein?“
„Es wäre zumindest ein Anfang.“
„Rachmaninow.“
„Und zwar, weil …?“ Sie ging um das Klavier herum auf Carlos zu. „Komm schon, hilf mir. Eine Unterhaltung beinhaltet mehr als einsilbige Antworten.“
„Meine Mutter hat Klavier gespielt. Er war ihr Lieblingskomponist, wenn sie aufgeregt oder wütend war.“ Er spielte ein paar disharmonische Akkorde, bevor er in eine sanftere Melodie überwechselte. „Wenn ich am Klavier sitze, kann ich noch immer ihre Stimme hören.“
Seine Antwort raubte ihr den Atem. Für einen so wortkargen Mann sagte er manchmal die rührendsten Dinge.
Lilah setzte sich zu ihm auf den Hocker. „Das ist wundervoll, Carlos, und einfach herzzerreißend.“
„Noch mehr solcher Kommentare, und es ist vorbei mit meiner Gesprächigkeit.“ Er beschleunigte das Tempo, bis seine Finger wieder über die Tasten flogen. „Vielleicht sollten wir eine Art Strip-Poker spielen. Für jedes Geheimnis, das ich dir verrate, ziehst du
Weitere Kostenlose Bücher