Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
Hausaufgaben, die sich Klirrs Kollegen ausgedacht hatten. Sie war Stunden damit beschäftigt, Listen anzulegen, Schaltpläne zu zeichnen und Wimperlinge zu beschreiben. Anschließend bestand Lallah darauf, mit ihr „Konversation zu treiben“. Ihr Gespräch über die wärmenden Strahlen der Sonne, die erfreuliche Farbe der Stuhlbezüge und die leider vom Springbrunnen abgebrochene Schwanzflosse schleppte sich mühsam dahin, bis Skaias Stundenkugel das Signal zum Zubettgehen gab. Skaia hätte den Tag als ziemlich danebengegangen abhaken müssen, wenn nicht wenigstens das Mittagsmahl von Missjö Sufflee wieder köstlich gewesen wäre: „Karamellisiertes Täubchen, umzingelt von wilden Kräutern, gefolgt von Lavendeleis auf Quittenküchlein“ ― und wenn sie nicht noch etwas vorgehabt hätte.
Unter Lallahs Regie war das Zubettgehen wieder ein halber Staatsakt gewesen, und es hatte ewig gedauert, bis sich die Roboldine endlich zurückzog.
Hätte sie gesehen, wie schnell Skaia wieder aus dem Bett hüpfte und in ihre Kleider schlüpfte, wäre sie bestimmt verblüfft gewesen und hätte es vor allem höchst unschicklich gefunden. Aber weder Lallah noch sonst jemand sollte merken, dass sich Skaia auf die Socken machte, um zur Schlafenszeit durch die Burg zu geistern. Deshalb konnte sie auch nicht einfach durch ihre Zimmertür spazieren, vor der Simpel und Gimpel bereitstanden, um sie überall hin zu begleiten.
Die langen Kordelschnüre, die die Vorhänge effektvoll rafften, waren ideal. Skaia musste nur zwei davon fest genug verknoten. Das reichte. Vom Fensterkreuz bis in den Garten ging es nicht allzu weit hinunter. Ein Stockwerk. Und Skaia war eine gute Kletterin. Die Kordeln ließ sie hängen für den Rückweg. Die untergehende Sonne tauchte die Gärten in rotes Abendlicht. Skaia huschte an den Mauern entlang. Sie musste um den ganzen Westflügel herumlaufen. Neben ihr lag der See mit einer Holzhütte am Ufer. Sicher waren darin die Ruderboote untergebracht, mit denen man zur Insel gelangen konnte. Aber Skaia hatte ein anderes Ziel. Direkt unter dem Sonnensaal, dessen Mauern turmhoch über alles andere hinausragten, hatte Aldoro sein „Gemach“, wie Lallah es nannte. Und obwohl es im ersten Stock lag, war es völlig unproblematisch zu erreichen. Zwei ausladende Treppen führten vom Garten direkt hinauf zur Glastür, hinter der Aldoro ruhte. Und diese Tür würde sich für Skaia öffnen.
Die Gardinen waren zwar halb durchsichtig, aber viel konnte sie dennoch nicht erkennen. Der Raum schien ziemlich groß, und Aldoros Bett stand weiter weg von der Tür, als Skaia gehofft hatte. Zu dumm. Sie konnte ja schlecht schreien und gegen die Scheiben hämmern. Außer Aldoro sollte keine Menschenseele etwas mitbekommen. Doch siehe da: Skaias vorsichtige Klopfzeichen und ihre verhaltenen Rufe taten auch ihre Wirkung. Im weißen Nachthemd näherte sich Aldoro der Tür. Müde wirkte er. Die Haare durcheinander. Ein mattes Lächeln, als er seine Schwester erkannte. Skaia war so froh, dass sie ihn gefunden hatte. Niemand konnte sie davon abhalten, ihren Bruder zu sehen.
„Mach auf“, rief Skaia fast zu laut.
Aber Aldoro schüttelte den Kopf.
„Was denn? Du musst nicht schlafen, du bist der Gute Herrscher und kannst machen, was du willst. Komm, ich muss dir so viel erzählen. Und du mir auch!“
Aber Aldoro legte sich wortlos einen Zeigefinger auf den Mund.
„Nein, ich bin nicht still! Ich bin von einem Haufen Robolde gefangengenommen und in eine Zelle geworfen worden. Und ich weiß nicht einmal warum! Jetzt mach auf!“ Langsam wurde sie sauer. Hatte keine Lust auf die Gestikuliererei, die Aldoro da hinter dem Glas veranstaltete, anstatt sie reinzulassen. Was wollte er denn? Warum deutete er mit der einen Hand auf sich selbst und hielt sich mit der anderen den Mund zu? Wollte er nicht mit ihr reden? Die Falten, die sich auf seiner Stirn bildeten, kannte Skaia nicht. Nein, er war nicht böse auf sie, er quälte sich mit dem Stillschweigen. Was hatten die Eingeweihten mit ihm gemacht? Ihm ein Schweigegelübde abgenommen? Er wirkte traurig. Die ganze Zeit hatte Skaia geglaubt, sie sei diejenige, die geschwisterlichen Trost nötig hatte nach all den Erlebnissen der letzten Tage. Daran, dass es genau umgekehrt sein könnte, hatte sie nicht gedacht.
Plötzlich kam Aldoros Gesicht ganz nah an die Scheibe. Stumm formten seine Lippen einen Satz.
Skaia war nicht geübt im Lippenlesen. Hilflos schüttelte sie den Kopf.
Aldoro
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