Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
versuchte es noch einmal und noch einmal. Bis Skaia verstand. „Geht es dir gut?“, wollte er wissen. Darüber ein besorgter Blick.
Skaia war gekommen, um alles loszuwerden. Alles über die Katze, den Kapellmeister, den verschwundenen Guten Herrscher, die Eingeweihten, den Bibliotheksdrachen Fräulein Martha, über Lallah und über Klirr. Alles wollte sie aus sich heraussprudeln lassen und sich in seinem Arm aufgehoben fühlen. Stattdessen konnte sie Aldoro nur anstarren. Und ihn mit einem „Ja“ von der Angst befreien, sie käme alleine nicht zurecht. Als sie ihm zunickte, spürte sie Tränen aufsteigen. Nur nicht blinzeln, sonst würden sie über die Wangen kullern! Skaia riss sich zusammen. War froh, dass sich Aldoros Miene ein wenig aufhellte.
Aufmunternd versuchte er sogar ein unbekümmertes Lachen, aber es gelang ihm nicht so recht. Noch ein Winken, dann verschwand er in der Tiefe seiner Räume. Die Gardinen wehten ihm hinterher.
Skaia verfluchte das Schicksal, das gerade ihren Bruder zum Nachfolger des Guten Herrschers machte. Es gab genug andere! Und was am schlimmsten war: Am Ende musste sie sich selbst die Schuld am Verschwinden Yahos geben. Wäre sie nicht in den Totgesagten Park eingedrungen, hätte es kein Verhör gegeben, und Yaho säße immer noch auf seinem abgewetzten Stuhl. Aldoro stünde zu Hause am Herd, würde in seiner neuesten Bohnenvariation rühren und mit Skaia über Klirr lästern.
Was blieb ihr übrig, als in ihr Schlafzimmer zurückzukehren, auch wenn alles in ihr rebellierte. Musste sie den Rest ihres Daseins tatsächlich in der Burg verbringen? Gemartert von Lallahs Geschwätz, verfolgt von Simpel und Gimpel, abgewiesen von den Wachen am großen Eingangstor? Und alles im Wissen, dass Aldoro in der Nähe, aber so unerreichbar war wie auf einem fernen Planeten?
Schwer schien sich Skaias Schatten an der Fassade entlang zu schleppen, immer wieder zerrissen von Fenstern und Türen, hinter denen wahrscheinlich niemand hauste. Obwohl: Eine Tür stand offen. Ganz so, als wohnte dort einer, der besonders viel Luft zum Atmen brauchte. Skaia kam nicht dazu, sich Gedanken darüber zu machen, denn ihre Aufmerksamkeit wurde plötzlich von etwas anderem beansprucht. Aus der Hütte am Ufer kam ein Boot!
Skaia wusste nicht, was für Folgen es haben würde, wenn man sie bei ihrem heimlichen Ausflug erwischte, aber sie wollte es auch gar erfahren. Sie musste ein Versteck finden! Die nächsten Hecken waren gut 100 Meter entfernt, Bäume noch viel weiter. Das Boot glitt ins Freie, und Skaia staunte. Vorne im Bug saß Lallah und hielt einen kleinen Sonnenschirm in die Höhe. Ausgerechnet! Ihr gegenüber zog der Robold, den Skaia als Aldoros schmeichlerischen Adjutanten kennen gelernt hatte, die Ruder kräftig durchs Wasser. Lallah gab ein blechernes „Haha“ von sich. Noch war sie von den offenbar amüsanten Äußerungen ihres Begleiters abgelenkt, aber bestimmt würde sie sich gleich dem Schauspiel der schon längst aufgehenden neuen Sonne zuwenden und dabei Skaia entdecken. Sie musste endlich verschwinden. Es blieb nur die geöffnete Tür.
Ein leises Pfeifen empfing sie. Der Mann, der in dem Zimmer schlief, schien eine hochgradig verstopfte Nase zu haben. Obwohl es sich so anhörte, als ob er kaum Luft bekäme, hatte er sich die Decke über den Kopf gezogen. Am anderen Ende ragten zwei gelbliche Füße heraus. Dazwischen ein gewaltiger Berg aus Leibesfülle und Bettzeug, der sich gleichmäßig hob und senkte. Gut so. Skaia brauchte nur leise das Zimmer durchqueren und dann auf den Gang entwischen. Auf Zehenspitzen schlich sie Richtung Tür. Auf halber Strecke kam sie an einem Schreibtisch vorbei, auf dem das schiere Chaos herrschte. Eine angenagte Birne hatte die obersten Blätter eines schlampig zusammengeschobenen Papierstapels angesabbert. In einer Tasse war der Rest einer dunklen Brühe angetrocknet und hielt klebrig einen Stift fest, der wohl zum Umrühren benutzt worden war. Dazwischen überall Bücher. Ein paar waren über den Rand des Tisches gerutscht und auf dem Boden gelandet. Besser gesagt: auf zwei langen, braunen Strümpfen. Skaia hätte sich wohl angewidert abgewandt, wenn ihr Blick nicht an einem kleinen Kärtchen hängen geblieben wäre, das strahlend weiß neben der dreckigen Tasse lag. Was darauf geschrieben stand, verblüffte und erschreckte sie gleichermaßen. Ein Bibliotheksausweis, frisch ausgestellt von Fräulein Martha. „Erzieher in herausragender Position“ stand
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