Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
geriet. Wenn das morgendliche Kämmen Pflichtprogramm war, wollte Skaia ganz bestimmt kein Burgfräulein sein. Mal abgesehen davon, dass neue Erzieher besser waren als Klirr und Missjö Sufflees Kochkünste besser als Bohnenvariationen, hatte Skaia allmählich den Eindruck, dass sie sowieso herzlich wenig davon hatte, Schwester des Guten Herrschers zu sein und in der Burg zu leben. Weder Fräulein Martha war dadurch zu beeindrucken noch die Wachrobolde am Eingangsportal.
Skaia hatte sich am vergangenen Nachmittag vor ihnen aufgebaut und versuchsweise befohlen: „Öffnet das Tor für die ‚Gute Schwester’!“ „Gute Schwester“ fand sie viel einfacher als dieses umständliche „die Schwester des Guten Herrschers“. Aber die beiden reagierten überhaupt nicht. Dafür meinte einer ihrer beiden Robolde: „Geht nicht.“
„Du dableiben“, ergänzte der andere.
Skaia starrte die beiden verblüfft an, bis der erste erklärte: „Ist Anweisung.“
Und der zweite fügte hinzu: „Von Eingeweihten.“
Zwar hatte Skaia nichts anderes vor als ziellos in den Straßen der Stadt umherzuschlendern, aber trotzdem merkte sie mit einem Mal, wie wichtig es für sie war. Sie konnte nicht den Rest ihres Daseins in dieser Burg verbringen, zumal das Leben hier weit weniger angenehm war, als sie es sich ausgemalt hatte. Lieber wollte sie außerhalb der Mauern „sinnlos Zeit totschlagen“, wie es Klirr missbilligend genannt hätte.
„Ich muss sofort meinen Bruder sprechen“, forderte sie von den Robolden. „Ihr führt mich zu ihm. Und ich will jetzt kein ‚Geht nicht’ hören! Verstanden?“
Das klappte. Wortlos gingen die beiden voran.
„Gut, dass sie zu beschränkt sind, um auf die Schnelle etwas zu erwidern“, dachte sich Skaia und beschloss, ihre beiden Dauerbegleiter in Zukunft Simpel und Gimpel zu nennen. Nach einem treudoofen Zwillingspaar klang das, fand sie und freute sich über ihren Einfall.
In den Gärten waren die Rasenflächen von verblichenem Grün, das stellenweise in strohiges Braun überging. Niedrige Rabatten mit zerzausten Sonnenblumen und strenge Buchsbaumhecken säumten einen Teil der geradlinig angelegten Wege. Die anderen waren als Alleen gestaltet, in denen man ganze Ehrengarden von strammstehenden, kegelförmig beschnittenen Eiben abschreiten konnte.
Simpel und Gimpel steuerten ein Gebäude an, das Skaia bekannt vorkam. Natürlich: der Weisheitstempel mit seinen Säulen, die sich unterhalb des Daches in steinerne Köpfe verwandelten. Sie hatte doch diesen Bastelbogen. Die beiden Fassaden, die den Weisheitstempel rechts und links flankierten, sahen fast genauso aus, nur waren sie ziemlich heruntergekommen. Und in den eingemeißelten Schriften über den Eingängen unterschieden sie sich. Links hieß es: „ZUR CK UR N UR!“. Und rechts: „VOR N MIT V NUNFT!“ Über dem Weisheitstempel prangte in Goldlettern:
„ S ZEIGEN D E PFORTEN,
ES ZEIGEN DIE SÄUL N,
D SS WEISHEI UND ARBEIT
U D KÜNSTE HIE WEILEN;
WO THÄTIGKEIT TH ONET
UND MÜSSIGGANG WEIC T,
ERHÄLT S INE HERRSCHAFT
AS LASTER NICHT LEICH .“
Darüber thronte tatsächlich jemand: der leichtbekleidete Mann, den Skaias Urgroßmutter immer als Osiris bezeichnet hatte. Da seine Krone aus Sonnenstrahlen ebenfalls golden leuchtete, fiel es richtig auf, dass ein Zacken herausgebrochen war.
Der Robold, dem Skaia den „Simpel“ zugedacht hatte, wies auf das Hauptportal und meinte: „Da Einweisung.“
Gimpel ergänzte: „Für Probe.“
„Betreten verboten“, erklärte Simpel und schüttelte den Kopf, als würde er dies bedauern. Vielleicht war bei ihm auch nur eine Schraube locker, und er wollte mit dem Gewackel herausfinden, welche.
Skaia musterte das Portal. „Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich dauernd vor verschlossenen Türen stehen muss.“ Dann schritt sie entschlossen darauf zu. Streckte die Hand nach der weit oben liegenden Klinke aus. Als ihre Fingerspitzen das kalte Metall berührten, donnerte eine tiefe Stimme: „Zurück!“ Und Skaia wurde nach hinten geschleudert. Benommen saß sie eine Weile am Boden.
Über ihr schüttelte Simpel wieder den Kopf.
„Magst du das nicht mal für mich versuchen?“, fragte sie ihn.
Simpel schüttelte den Kopf noch mehr. Vielleicht war bei ihm ja doch keine Schraube locker.
Zu blöd. Alles, was sie in der Burg unternahm, ging schief. Dabei würde ein Wort von Aldoro genügen, und alles würde sich fügen. Da hatte sich Skaia geschworen: Egal,
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