Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
nicht auf die Frage. Vielleicht war sie schon eingeschlafen. Skaia aber war schlecht. Ihr Magen fühlte sich an, als würde er Kapriolen schlagen. Waren das die Narrtoffeln, die da rumorten? Matt schwang sie die Beine aus dem Bett.
Das Fenster war auf die gleiche unpraktische Art zu öffnen wie die Schranktür. Doch wie gut tat die frische Luft!
Über den Dorfplatz schlenderten zwei Leute. Sie gingen immer nur ein paar Schritte. Dann umarmten sie sich, murmelten und küssten sich lange, bevor sie weiterschlenderten. Das Huhn, das hinter einer Hausecke hervorkam und über den Anger stakste, war zehnmal schneller. Aufgeregt nahm es unter dem Baum Platz und kläffte wie ein Hund. Dann erhob es sich wieder und lief fort. Zurück ließ es ein Ei. Skaia konnte es eindeutig erkennen, weil es neongrün leuchtete. Wäre die grelle Farbe nicht rasch erloschen, hätte Skaia vielleicht ihren Blick nicht rechtzeitig auf etwas ganz anderes gerichtet, das sich viel heimlicher durch die Nacht bewegte. Ein Greis schlich direkt unter ihrem Fenster vorbei. Die weißen Haare hingen wie Spinnweben an seinem Schädel. Wehten bei jedem Schritt. Sein Mantel wirkte zerlumpt, doch zwischen den beiden Kragenspitzen strahlte es golden.
Skaia wusste genau, dass es sieben Kugeln an zwei silbernen Bändern waren.
Ihr Herz schlug laut, während sie leise die Treppe hinuntereilte. Als sie vorsichtig die Tür ihrer Herberge hinter sich schloss, sah sie den Mann immer noch. Er ließ gerade die letzten Häuser des Dorfes hinter sich.
Sie fluchte und schrie. Es war zum Verrücktwerden. Wie konnte das sein? Wieso war sie nicht im Bett aufgewacht? Als sie das Gesicht noch mehr in das Kissen kuscheln wollte, hatte ihre Wange plötzlich wehgetan. Sie hatte die Augen aufgeschlagen und direkt vor sich eine Ameise über eine rissige Baumrinde marschieren sehen. Es gab kein Kissen. Kein Bett. Kein Zimmer. Keinen Schrank. Keine Katze. Nur Zypressen, deren Wipfel sich im Nachtwind wiegten.
Aufgeregt lief Skaia zwischen den Bäumen umher. Rannte, um dem Wald zu entfliehen, von dem sie nicht wusste, wie sie hineingeraten war. Weit konnte das Dorf nicht sein. Sie stolperte durch das Unterholz. Da aber nach ein paar hundert Metern kein Ende des Waldes in Sicht war, machte sie kehrt und lief in die andere Richtung. Doppelt so weit. Umsonst. Dann eben nach rechts. Doch bald glaubte sie, immer tiefer in den Wald hineinzugeraten. Also zurück. Das musste dann ja stimmen. Auch wenn es weit war. Viel zu weit, wie sich Skaia nach einer halben Ewigkeit eingestand. Sie hatte sich total verlaufen. In einem Wald, der riesig sein musste. Wahrscheinlich hätte selbst Lunetta hier Schwierigkeiten gehabt, sich zu orientieren. Es sah alles so gleich aus. An einem bemoosten Ast, der im Weg lag, blieb sie hängen. Sie hätte schwören können, dass sie den gleichen Ast schon öfter hier im Wald gesehen hatte, wenn auch immer an anderer Stelle. Jedes Mal hatte er sie an die Geweihe der beiden streitenden Frauen erinnert. Skaia stolperte und stürzte auf abgefallene Zypressenwedel. Sie zog die Beine an und lehnte sich an den nächstbesten Stamm. Sie musste nachdenken.
Das letzte, an das sie sich erinnern konnte, war das Magendrücken, das sie im Bett verspürt hatte ― und die Wirrnis im Kopf. Hatte sie etwas Verdorbenes gegessen? Diese ganzen Toffelsachen ... Die einen hatten nach Trüffel geschmeckt, die anderen irgendwie süß. Sie hatte doch Kartoffeln bestellt ... Aber ... Ja, genau, die Frau in der „UNVERMEID-BAR“ hatte ihr Narrtoffelbrei gebracht. Und Skaia war aus dem Haus gegangen. Jemandem hinterher. Und ein grünes Ei hatte geleuchtet! Was für ein Unsinn. Skaia schlug die Hände vors Gesicht. Die Narrtoffeln! Hatten sie ihr etwas vorgegaukelt? Und sie war blindlings drauflos gelaufen? In den nächstbesten Wald?
Wie weit war sie fort vom Dorf? Wollte sie nicht auf ewig im Dickicht hocken, musste sie sich aufraffen. Dennoch blieb sie sitzen. Bis sie merkte, wie es an ihrem Rücken klebrig wurde. Ihr Hemd blieb schon am Stamm kleben, als sie erschrocken aufsprang.
Die Rinde sabberte. Harz drückte nach außen. Das Hemd fühlte sich eklig an. Am liebsten hätte es Skaia ausgezogen und im nächsten Bachwasser ausgewaschen. Aber in diesem Wald war sie bisher noch nicht einmal auf ein Rinnsal gestoßen. Das einzige, was rann, war das Harz. Inzwischen hatten sich schnörkelige Muster gebildet. Sie ähnelten den Krakeln, die Ana immer malte, wenn sie im Unterricht
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