Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
etwas an die Tafel schreiben musste. Wenn Skaia es genau nahm, hätte Ana sogar stolz sein können auf das Schriftbild, das da aus der Rinde tropfte.
„illkommen zu Hause“, konnte sie einwandfrei lesen. Nur das „W“, das genau dort gewesen wäre, wo sie eben noch gelehnt hatte, war zu einer pappigen Fläche zerdrückt. Einige Handbreit darüber erschienen weitere Worte: „Wir haben dich lange gesucht.“ Skaia blickte sich fragend um, ganz so, als stünde da jemand, der ihr das seltsame Geschehen erklären könnte. Doch da war natürlich niemand. Dafür zog nun ein anderer Baum ihren Blick auf sich. „Wir waren so einsam“, schrieb er. Erschrocken drehte sich Skaia zurück zum ersten Baum und konnte dort weiterlesen, „seit Sarastro dich geraubt.“ Skaia stolperte rückwärts. Sie wollte sich nicht unter Bäumen aufhalten, von denen sie beobachtet und mit Botschaften aus Harz bedrängt wurde. Sie wollte sich überhaupt nicht in einem Land aufhalten, in dem andauernd völlig Unverständliches geschah. Wo alles nur danach zu trachten schien, sie zu verwirren. Wo alles möglich schien, was doch eigentlich unmöglich war. Alles war komplett verkehrt. Das Essen hatte einen nicht in die Irre zu führen, und Bäume hatten einen nicht anzusprechen. Skaias Beine machten sich selbstständig. Traten den Rückzug an. Wollten die schreibenden Stämme hinter sich lassen. Skaia sah über sich die Spitzen der Zypressen, die mit einem Mal gespenstisch in absolute Helligkeit getaucht wurden. Die Sonne hatte die Nacht durchblitzt. Danach schienen die Bäume umso dunkler. Doch auf den Rinden konnte Skaia noch immer die Botschaften lesen, die ihr entgegentropften:
„Arme Pamina.“
„Armes Zypressen-Wäldchen.“
„So lange geweint.“
„So lange zum Wandern verdammt.”
Der ganze Wald verfolgte sie, umzingelte sie. Wo sie auch hinlief, sie würde nicht entkommen. Sie konnte nur schreien: „Was wollt ihr von mir? Ich bin nicht Pamina!“
„Endlich gefunden“, harzte der nächste Stamm.
Skaia schrie: „Nein!“
„Wir beschützen dich, Pamina.“
„Für immer.“
Skaia schrie so laut sie konnte: „Nein, nein, nein!“ Die Bäume harzten weiter. Skaia konnte es nicht mehr ertragen. Sie warf sich auf einen Erdhügel und steckte den Kopf zwischen die Knie. Nie wieder würde sie aus diesem Wald heraus kommen. Egal, wohin sie lief, er würde sie ewig umzingeln.
Beim Essen in der „UNVERMEID-BAR“ hatte Skaia Hoffnung geschöpft, dass das Reich der Nacht vielleicht doch nicht nur Übles bergen würde, aber jetzt wurde sie eines Besseren belehrt. Skaia war gescheitert. Sie konnte Yaho und den Sonnenkreis nicht nach Solterra zurückholen und würde Aldoro nie wieder sehen. Was aus ihm wurde, mochte sie sich nicht ausmalen. Von den Eingeweihten bevormundet, von Klirr bedrängt, vom Volk beargwöhnt, von der Sorge um seine verschwundene Schwester gelähmt. Es war so leichtsinnig gewesen, ins Reich der Nacht abzutauchen. So dumm zu glauben, sie könne alles wieder ins Lot bringen, indem sie eben mal ins Reich der Nacht hinüberwechselte.
War sie denn wirklich das Mädchen, von dem irgendein Orakel sprach? Oder eine Prinzessin? Oder Pamina? Nein, Pamina auf keinen Fall. Das war die Tochter der nächtlichen Königin gewesen. Und damit auch eine Prinzessin. Ha! Dann war Pamina auch das Mädchen aus dem Orakel. Und dieses Orakel orakelte einfach nur Unsinn. Denn Pamina war längst tot und begraben unter solterranischer Erde.
Skaia wollte Yaho nicht mehr finden müssen. Sie wollte nur heim. Sich in ihre Bettdecke vergraben und auf die Worte ihrer Mutter lauschen, die Geschichten erzählte. Geschichten aus der Burg, als sie noch prächtig war und voller edler Menschen, die gut miteinander umgingen.
Es musste einen Weg zurück geben. Skaia dachte angestrengt nach, ging alles noch einmal genau durch. Und mit einem Mal wurde ihr klar, was sie tun musste. So wie sie nach Moxó gekommen war, würde sie auch wieder nach Solterra kommen. Sie musste nur gewappnet sein. Mit ihrem ganzen Herzen musste sie bereit sein. Jederzeit. Wenn sie wollte, konnte sie beim nächsten Helligkeitsblitz das nächtliche Reich verlassen. In diesem kurzen Moment, wo die Helligkeit wieder alles überstrahlen würde, müsste sie nur felsenfest davon überzeugt sein, im Land des Lichts leben zu wollen. Dann wäre sie wieder in Solterra. Sie durfte nur nicht zweifeln. Nicht an die Eingeweihten denken, an die Wachen der Burgtore, an Aldoro, den man
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