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Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Titel: Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Endl
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von ihr fern hielt. Sie musste es sich vorsagen: Solterra war das Land, in dem sie sein wollte. Immer wieder vorsagen, bis der Blitz sie mitnehmen würde: Solterra war das größte Glück, Solterra war ihre Heimat, Solterra war das Land, wo sie hingehörte.
     
    Beim Kauen der roten und blauen Beeren, die sie fand, ging es gut, sich Solterra als das Land der Sehnsucht vorzustellen. Auch dort war Skaia Beeren pflücken gegangen. Nicht weit vor der Stadt gab es ein üppiges Erdbeerfeld ― eine aufwändig bewässerte Oase inmitten von staubiger Weite. Mit ihrem Vater und Aldoro hatte sie jedes Jahr in der Reihe 36 den Abschnitt A abgeerntet. Sie mussten zwar den größten Teil bei der Aufsicht abgeben, so wie es die Ernährungsanstalt vorschrieb, aber zwei Eimerchen brachten sie immer mit nach Hause. Bis Skaia dann frisch geduscht aus dem Bad kam, hatte ihre Mutter die Erdbeeren geputzt, halbiert und mit Puderzucker bestäubt. Skaia bekam einen besonders großen Teller, auf dem die Beerenhälften jedes Mal in einer neuen Art und Weise angeordnet waren. Mal als Schäfchen, mal als Blume, mal als Gesicht. Als Klirr Skaias Haupterzieher wurde, stellte sie sich vor, dass der Erdbeermund vor ihr hässlich lamentierte, ganz so wie Klirr. Dann nahm sie ihre Gabel und zermatschte die Beeren auf dem Teller, bis die Reste in dünner, roter Soße schwammen.
    Erdbeeren waren viel leckerer als die kleinen, runden Dinger, die Skaia von den Sträuchern zwischen den Zypressen pflückte. Alles in Solterra war besser, sagte sie sich. Alles war wunderschön dort. Sie wollte so gerne zurück. Skaia war bereit. Aber alles blieb dunkel. Kein Blitz.
    Irgendwann wurde Skaia müde. Sie wehrte sich gegen den Schlaf, aber in diesem Wald war es so langweilig, dass sie nichts fand, womit sie sich ablenken konnte. Nur Büsche, abgefallene Äste und Zapfen und die Bäume. Mit dem triefenden Geschwätz der Rinden wollte sie sich auf keinen Fall beschäftigen. Aber sie durfte nicht einschlafen! Wankend stand sie auf, beschloss, noch einmal Beeren zu sammeln: Blaubeeren, Stachelbeeren und irgendwelche Beeren, deren Namen sie nicht kannte, die aber gut rochen. Die Dornen der Sträucher zerrissen ihr das Hemd. Mit Kratzern an Armen und Beinen tauchte sie aus dem Gestrüpp auf. Längst hatte sie das Gefühl für die Zeit verloren, spürte keinen Rhythmus mehr, den ihr Körper einhalten konnte. Nur an einem hielt sie sich fest: Solterra! Solterra! Solterra! Bis sie an einem Stamm niedersank und einnickte.
     
    „Gut geruht?“, harzte ein Baum ihr entgegen. Skaia brachte nur ein „Äh“ zustande und verdrehte die Augen.
    Dann geschah es: „Hihihihihihilfe!“, schallte es an Skaias Ohr.
    Dazu der Blitz. Im selben Moment und schon wieder vorbei. Skaia hatte so lange gewartet ― und jetzt an das Falsche gedacht. Anstatt sich nach Solterra zu sehnen, hatte sie erschrocken zugehört, wie jemand schrie. Genau in dem Augenblick, als das Licht sie hätte erlösen können. Skaia saß wie ausgelöscht da. Sie hatte die Rettung verpasst.
    „Hahahahaha“, lachte die Stimme wie wahnsinnig. Überschnappend. Wie in Trance erhob sich Skaia. Es würde wieder ein Blitz kommen. Solterra ist schön. Solterra ist hell. Solterra ist Licht.
    „Hihihihaho.“
    Wer hatte ihr da mit seinem plötzlichen Gelächter die Rückkehr nach Solterra verpatzt? Skaia ging der Stimme nach. Als sie an einer Lichtung ankam, sah sie einen Jungen, der wahrscheinlich ein wenig jünger war als Skaia. Zumindest schien er kleiner zu sein. Genau war das aber nicht auszumachen, denn der Junge hing in der Luft und wurde wie verrückt herumgeschleudert. Was ihn festhielt, war ein breiter, roter Lichtstrahl, in dem sich das Spektakel abspielte. Egal, ob der Strahl nach links oder rechts schwenkte, Kreise beschrieb oder im Zickzack um sich schlug, immer riss er den Jungen mit. Der Junge gickelte und gackerte, kicherte und japste. Seine Miene war verzerrt und keinesfalls begeistert. Eindeutig: Die Schleuderfahrt und das Lachen machten keinen Spaß. Der Junge hätte wohl alles gegeben, um dem Bann des Strahls zu entkommen. Sollte Skaia ihm helfen? Die Hand nach ihm ausstrecken und ihn herausziehen? Wer wusste schon, wie der Junge da hineingeraten war? Vielleicht hatte er neugierig seine Hand in das rote Licht gestreckt und war dann hineingezogen worden? Skaia durfte kein Risiko eingehen. Sie sah sich an diesem eigentümlichen Ort genauer um. Dass es hinter dem roten Lichtstrahl noch einen orangenen,

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