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Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)

Titel: Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Endl
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wir schauen mal nach ...“
     
    Überzeh hatte sich ins reinste Chaos verwandelt. Über dem Dorf hing eine schwarze Wolke aus Raben. Die Menschen liefen durcheinander, schimpften, jammerten, schrien, wenn einer der Vögel so knapp an ihren Köpfen vorbeirauschte, dass die Haare flogen. Ein älterer Mann mit grauem Bart stieß ein Regal um, als er ausweichen wollte. Es war nicht das erste, das umstürzte. Überall lag edel poliertes und üppig verziertes Schuhwerks im Staub. Flüchtende stolperten darüber. Ein kleines Mädchen in Lackschühchen stand stumm am Rand, bis es von einer silbernen Sandale getroffen wurde. Die Tränen sprangen ihm wie Funken aus den Augen, und sein Heulen erhob sich sirenengleich. Der Rabe, der das Silberding verloren hatte, holte es sich wieder. Schnappte nach einem der Riemen und flatterte fort in die Lüfte. Brachte seine Beute dorthin, wo eine aufgedrehte Stimme jubilierte:
     
    „Es ist kein Emu, ist kein Gnu,
    kein Kaka-ich, kein Kaka-du,
    braucht anders als der Marabu
    für jedes Füßchen einen Schuh!“
     
    Was gemeint war, sahen Skaia und Mikolo erst, als sich die Menge teilte, um es durchzulassen. Zwei Fühler, so dick wie die Hauptkabel eines Sonnenmasts, schlugen allem entgegen, was nicht auswich. Sie räumten den Weg frei für einen nicht enden wollender Wurm aus bräunlich-grünen Gliedern, getragen von einem wahren Heer tippelnder Beine.
    „Ein Myriapoda Diplopoda! Aber so groß?“ Skaia war baff.
    „Was?“, fragte Mikolo, ohne seinen Blick abwenden zu können von den Raben, die immer mehr Schuhe herbeitrugen und sie dem marschierenden Riesentier über die Füße zogen.
    „Ein Tausendfüßler“, übersetzte Skaia. „Glück gehabt!“
    „Glück?“ Mikolo blickte sie an, als hielte er sie für irrsinnig.
    „Ein Hundertfüßler wäre viel schlimmer.“
    „Bitte?“
    „Sein erstes Fußpaar ist nichts anderes als der Kiefer, mit dem er seine Opfer festhält und so lange voll Gift pumpt, bis sie tot sind. Dagegen sind Tausendfüßler harmlos.“
    Der Tausendfüßler sah eher lächerlich als gefährlich aus, wie er in seinem kunterbunten Sammelsurium daher stiefelte: Hinter einem rosa Gummistiefel trat ein Slipper mit Metallschnalle auf, gefolgt von einem paillettenüberzogenen Plateauschuh, einer Badelatsche, einem Mokassin, zahlreichen Halbschuhen mit offenen Schnürsenkeln und Pumps, auf denen die stoppelig behaarten Beine ab und zu umknickten. Als wäre dieser Anblick nicht grotesk genug, sprang auf dem Rücken des langen Elends eine Gestalt hin und her, die Skaia an die Papageni erinnerte. Nur war sie kein Kind mehr, sondern ein ausgewachsener Mann, und die Federn leuchteten nicht fröhlich bunt, sondern schimmerten in den düsteren Farben der Nacht. Ein Kranz von Pfauenfedern umspielte seinen Hals.
    „Du bist die Pest“, schrie ein stämmiger Bursche den Federmann an.
    „Danke, danke“, rief dieser zurück, „die peste Stimmungskanone, die ihr je erlebt habt? Wie reizend!“ Er deutete zierliche Verbeugungen in alle Richtungen an, bevor er dem wütenden jungen Mann zu fauchte: „Möchtest du mitmachen bei Jux und Tollerei? Vielleicht deinen Klumpfuß in die Höhe halten, den du ängstlich in deinen eleganten Tretern versteckst? Schäm dich nicht dafür. Er sieht doch zum Brüllen komisch aus!“
    Das Gesicht des Blamierten lief tiefrot an, während der Gefiederte schrie vor Lachen, einen Flickflack über den langen Rücken machte und schließlich ein holpriges Lied schmetterte:
     
    „So viel Spaß macht der Clown,
    er kann in dein Herz schaun,
    auf den Grund deiner Seele,
    auf dass nichts sie verhehle.
    So beglückt allerorten
    er mit witzigen Worten.
    Darum reich’ ihm auch du
    für die Reise ’nen Schuh!“
     
    Er warf mit beiden Händen Papierkügelchen in die Luft, die als bunter Regen über den Köpfen der Leute niedergingen. Im Geknalle, das jeder Aufprall auslöste, ging sein letzter Ruf fast unter:
     
    „Sonst bleibt er heut’ und fürderhin
    bei dir, der dunkle Horrlekin.“
     
    Das letzte, was man von ihm sah, als er vom Tausendfüßler aus dem Dorf getragen wurde, war das Grinsen seiner kreideweißen Zähne. Und über ihm die Raben.
    Skaia blickte ihnen hinterher und schüttelte sich. Wie war sie froh, dass der Tross nicht auf den Weg zu Famma abgebogen war. So konnte sie ihn so schnell wie möglich vergessen.
     
    In der Scheune war das Theaterkostüm fast getrocknet.
    „Ein bisschen feucht macht ja nichts, oder?“ Rasch schlüpfte

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