Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
Mikolo hinein. Sogar den unbequemen Kragen band er wieder um.
Skaia würde es nie begreifen. Was wollte er, was wollte der Prinzipal und was wollten die Käufer extravaganter Überzeh-Schuhe denn mit ihren Bemühungen um ein prächtiges Auftreten? Es kam ja gar nicht richtig zur Geltung. Dafür schien der Mond einfach zu matt.
„Ich fühle mich viel besser darin als in meiner Schuluniform“, meinte Mikolo und folgte ihr. „Immerhin bin ich damit ein Hofrat! Und außerdem sind die Stiefel nicht schlecht für eine Bergtour.“
Der Pfad führte jetzt durch niedriges Heidekraut bergauf. Ab und zu standen vereinsamt Wacholdersträucher dazwischen. Mit ihren schlanken Umrissen hätte man sie auf den ersten Blick auch für erstarrte Menschen halten können. Richtig geheuer war Skaia die Gegend nicht. Warum sich nur so viele Leute auf den beschwerlichen Weg zu Famma machten, um ihr das Neueste zu berichten, was sie gehört hatten? Weil sie ihrerseits dann auch etwas erfuhren?
Wie Papa es beschrieben hatte, tauchte vor ihnen ein mächtiger Felsblock auf. Bald konnten sie auch einen Höhleneingang erkennen. Sie näherten sich vorsichtig, um Famma nicht zu erschrecken. Da sprang eine Frau aus der Höhle. Lief auf sie zu mit ausgestreckten Armen. Ihr dünnes Kleidchen wehte im Nachtwind, umflatterte die zarte Figur. Sein Ausschnitt lag ein gutes Stück unterhalb eines kräftigen, violetten Halsbandes, das geheimnisvoll schimmerte. Im Gesicht zog nur eines die ganze Aufmerksamkeit auf sich: Wie aufgepumpt wölbten sich unglaublich dicke Lippen nach vorne, verdeckten beinahe Kinn und Nase.
„Ob das von den vielen Gerüchten kommt, die sie weitererzählt?“, flüsterte Mikolo.
„Sie muss ja nicht schön sein. Immerhin scheint sie sich zu freuen, dass ...“ Skaia beendete den Satz nicht, denn die Frau rannte an ihr vorbei, umschlang Mikolo und drückte ihm die Lippen ins Gesicht. So stürmisch, als wäre er ihr Sohn, der nach gefährlichen Abenteuern in fremden Ländern endlich zurückkehrte.
Mikolo zappelte in ihren Armen. Seine Hilferufe hingen ihm in der Kehle fest. Nur undefinierbares Gegrummel drang nach außen, denn auf seinem Mund klebten unnachgiebig die roten Wülste.
„He, lass ihn wieder runter!“, schrie Skaia, ahnte aber, dass es nichts nützen würde. Nichts als schmatzende Kussgeräusche waren die Antwort. Auch als Skaia der Frau gegen das Schienbein trat, ließ diese nicht von Mikolo ab. Ohne auf Skaia zu achten, sprang sie zur Höhle zurück, ihre Beute umklammert, festgesaugt. Es kümmerte sie nicht, dass ihr Skaia nachlief. Sie warf sich in einen Kleiderhaufen. Hosenbeine, Hemdsärmel, Socken türmten sich überall.
Im Licht der Blaukappe, die hektisch um Mikolo und die Frau herumschwirrte, bemerkte Skaia, wie seine Gegenwehr nachließ. Seine Beine strampelten nur noch wenig. Die Dicklippige hielt ihn eisern fest und begrub fast sein ganzes Gesicht unter ihrem Mund. Konnte Mikolo überhaupt noch atmen? Obwohl die Kusswütige keinen einzigen Blick an sie verschwendete, fühlte sich Skaia auf einmal beobachtet. Es war der Halsreif. Jetzt erst bemerkte sie es: Er hatte im Mondlicht nicht umsonst so geschillert, als sei er aus lauter Schuppenplättchen gefertigt. Er war eine Schlange. Ein Auge glotzte zu Mikolo, das andere achtete auf Skaia. Gerade ließ das Maul den eigenen Schwanz los und näherte sich Mikolos Hals. Die Zischlaute, die die Schlange von sich gab, waren neben dem gierigen Geschmatze der Frau kaum zu hören. Für Skaia klangen sie wie die schrillste Alarmglocke. Ohne nachzudenken griff sie zu. Der Schlange ins Genick. Quetschte ihr das Kiefergelenk. Grotesk weit klappte das Maul auseinander. Das Zischen wurde zum Fauchen. Der Kopf wand sich, der Körper schlug um sich. Aber Skaia ließ nicht los. Zum ersten Mal wandte die Frau den Blick ab von ihrem Opfer. Während der Mund gnadenlos auf Mikolo liegen blieb, rollte sie die Augen auf der Suche nach der Schlange. Doch sie hielt zu spät danach Ausschau, was mit ihrer Verbündeten geschah. Mit einem Schmerzensschrei fuhr sie in die Höhe. Skaia hatte ihr die Schlangenzähne ins Fleisch gerammt.
Der Körper der Frau klappte zusammen. Begrub unter sich die zappelnde Schlange.
In Skaias Hirn schlich sich die Erinnerung: Hatte nicht einer der Theaterleute vor der Schwester von Famma gewarnt?
Mikolo atmete. Hauchte: „Weg, bitte ...“ Auch wenn er sich kaum bewegen konnte vor Schwäche, er wollte so schnell wie möglich fort. Auf
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