Prinzessin der Nacht - Phantastischer Roman (German Edition)
eine hatte sich Mikolo um die Schultern gelegt. Ausgefroren griff Skaia nach der anderen.
„Zieh dich erst um“, riet ihr Mikolo. „Die Sachen im Rucksack sind zwar an manchen Stellen feucht geworden, aber sie sind auf jeden Fall besser als das da.“ Er zupfte an Skaias zerrissenem Hemd. „Das legen wir neben den Hofrat zum Trocknen.“
Ein paar Minuten später saß Skaia als Sklavin gewandet und in die Decke gehüllt da und ließ sich von Mikolo weitere Schätze zeigen.
„Weintrauben. Zwar keine grünen, sondern nur blaue, aber trotzdem gut. Und eine Feldflasche mit Wasser drin.“
„Wo war das denn?“
„In der Tasche da.“ Vage deutete er hinter sich. Skaia konnte nichts erkennen. Weil sie den Deckel wieder zugezogen hatten, spendete nur die Blaukappe spärliches Licht.
„Aber ...“
„Ja, ich weiß. Sieht ganz so aus, als ob hier jemand wohnen würde, der nur gerade nicht da ist, oder?“ Mit schräggelegtem Kopf sah er Skaias an, meinte aber: „Egal. Was soll uns denn noch passieren?“
Skaia biss nachdenklich auf eine Traube. War es vermessen, noch einmal Hoffnung zu schöpfen? Konnte es sei, dass derjenige, der in diesem Fass Quartier genommen hatte, Yaho war?
Plötzlich war ein leises Getrappel über ihren Köpfen zu vernehmen. Mikolo schien das Geräusch bereits zu kennen. „Achtung, Besuch kommt! Durch den Seiteneingang.“ Er schaute auf das Loch. Skaia tat es ihm gleich. Es erschien eine schnuppernde, spitze Nase mit stoppeligen Barthaaren, schwarze Äuglein, aufgestellte Ohren: eine Ratte. Und sie trug goldene Perlen um den grauen Hals.
Skaia konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken, als das Tier vor ihr auf den Boden sprang.
Erst lachte Mikolo, dann rief er erschrocken: „Raus, Skaia, schnell!“ Denn die Ratte wuchs, wucherte, verwandelte sich in etwas Riesiges. „Sie zerquetscht uns.“ Skaia trat mit einem Fuß nach dem Deckel und wurde von Mikolo nach draußen geschoben. In der Tonne rumpelte es. Sofort fror Skaia in ihrem Kostümchen. Mikolo zog an ihrem Arm, wollte weg.
Aber sie bewegte sich nicht. Ihr Blick blieb so fest auf das Fass gerichtet, als ob sie das, was da drin rumorte, hypnotisieren könne.
Mikolo zog sie über das Eis.
„Nicht“, zischte sie, ohne das Fass aus den Augen zu lassen. „Ich wusste es!“
Aus dem Fass kamen zwei Männerbeine. Mühevoll schälte sich der Verwandlungskünstler aus der engen Behausung. Hielt sich den Rücken, als er sich aufrichtete. Warm und golden glänzte die Kugel-Kette am Hals von Yaho.
Auch wenn seine Haut immer noch trocken war und übersät mit Altersflecken, seine Haare genauso weiß und dünn, wie sie Skaia in Erinnerung hatte, wirkte er trotzdem verändert. Er steckte ― statt im leuchtend gelben Herrschermantel ― in hellen, reichlich weiten Hosen und einer Filzjacke, die auf moosgrünem Untergrund braune und orangefarbene Quadrate präsentierte. So gebeugt er im Sonnensaal auch in seinem Sessel gehockt hatte, so aufrecht stand er jetzt da. So blind sein Blick damals auf den Boden gerichtet gewesen war, so klar ruhte er nun auf ihnen. „Ich habe ein Mädchen erwartet, aber ihr seid gleich zu dritt gekommen.“
Skaia war fast am Ziel. Sie stand Yaho gegenüber und musste ihn überzeugen, dass er mit ihr zurückkehrte. Er konnte sie und Solterra nicht im Stich lassen.
„Kommt her. Zwei Decken sind da, eine für jeden von euch. Eurem Flammenfreund ist ja sicher auch so warm genug. Und mir kann die Kälte nichts anhaben, solange ich den hier trage.“ Yaho wies auf den Sonnenkreis. „Wenn ihr wieder ins Fass schlüpft, setze ich mich davor auf den Deckel. Dann können wir reden.“
Skaia nickte stumm.
„Wie haben Sie das denn gemacht vorhin?“, wollte Mikolo wissen, während er sich in seine Decke mummelte. „Dass Sie eine Ratte waren?“
Yaho zog die Knie an und umfing sie mit seinen Armen. „Die Kraft für die Verwandlung kommt aus dem Sonnenkreis. Ich muss mir nur vorstellen, was ich sein will. Allerdings ganz genau, sonst klappt es nicht. Nur solche Wesen, deren Aussehen ich gut genug kenne, sind möglich. Hausratte, Wanderratte oder Waldmaus, durcheinander bringen sollte man die nicht.“
„Ich würde mich in eine Fledermaus verwandeln. Die haben Flügel und sehen von oben viel mehr von der Welt. Oder, halt nein, sehen tun die, glaube ich, gar nicht mal. Wie war das gleich ...?“
„Wenn sie fliegen, sind sie weit weg von dem, was unten auf der Erde geschieht. Wie viel sie da verpassen
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