Prinzessinnensöckchen (German Edition)
das gewaltigste für den Konditor, der Carmen wissen ließ, er hasse süßes Essen, bevor er in die geschätzten 500 Gramm warmen Fleischkäse biss, der zwischen den beiden Brötchenhälften hervorquoll. Der Lehrling begnügte sich mit einem Salamibrötchen. Ein stiller, etwas phlegmatischer, schlaksiger Junge mit Skaterfrisur, die ihm quer über der Stirn hing und mit einer fahrigen Handbewegung immer wieder auf ihren rechten Platz geschubst werden musste. »Zweites Lehrjahr«, antwortete er auf die Frage, wie lange er schon hier beschäftigt sei. Es klang wie »zwei Jahre Knast, eins muss ich noch absitzen«.
Die Chefin hatte sich in der Mittagspause nur kurz blicken lassen. Und auch das nur um mitzuteilen, sie müsse am Nachmittag auf die Bank, um einige Dinge zu regeln. Clara hatte, als Kati Pohland schon wieder weg war, das Gesicht verzogen und »Ja, ja, einige Dinge regeln« gemurmelt. Carmen sah sie fragend an, doch die Kollegin schüttelte nur den Kopf und widmete sich ihrer Käsestulle.
Der Nachmittag wurde hektisch. Dies sei aber immer so, sagte ihr Clara, als sie die Schweißperlen auf Carmens Gesicht sah. »Wir sind halt sehr beliebt, die Leute kommen von weit her zu uns. Die meisten sind Stammgäste.«
Das merkte man daran, dass Carmen wenigstens zwanzigmal erklären musste, ja, sie sei die Neue, nein, die Elke arbeite nicht mehr hier, nein, sie wisse auch nicht warum, ja, sie bleibe erst mal hinter der Theke, ja, die Eierlikörtorte sei ganz frisch.
Die Stunden vergingen unter der Arbeit wie im Flug. Sehr erfreulich, dachte Carmen. Pünktlich um 18 Uhr wurde das Café geschlossen, abgerechnet. Das war Sache der Chefin, die kurz zuvor erschienen war. »Hat alles geklappt?« fragte sie und Carmen stellte zufrieden fest, dass Clara überzeugend nickte.
Ihre Beine schmerzten. Sie war nicht daran gewöhnt, mehrere Stunden hintereinander zu stehen, dazwischen immer wieder kleine Schritte zur Kaffeemaschine und zurück, sich zu den Kuchen hinunter bücken, aus der Vitrine nehmen, Stücke abschneiden, die Kuchen zurückstellen, in die Registrierkasse tippen. Aber der Mensch gewöhnte sich an alles und Carmen war ein Mensch, wenn auch gerade einer mit schmerzenden Beinen.
Sie hatte die rechte Hand in der Jackentasche und spielte mit dem Münzgeld. Nach Feierabend hatte Clara das empfangene Trinkgeld auf einen Tisch gekippt und vier Häufchen daraus gemacht. »Vierunddreißigsechzig«, murmelte sie und schob ein »Na ja, Durchschnitt« nach. Geteilt durch vier? Das rechnete sie schnell im Kopf.»Achtfünfundsechzig.«
Nett, fand Carmen und zog die Hand wieder aus der Jackentasche. Alle Angestellten partizipierten daran, das war ja beinahe Kommunismus.
14
Warum hatte die ihr Handy ausgeschaltet? Nicht einmal an Emilys Mailbox kam Hanna ran. Sehr seltsam. Sie wollte ihr doch sagen, dass sie heute zwar in die Schule kommen würde, aber bestimmt nicht die ersten zwei Stunden Sport. In miefigen Umkleiden uncoole Turnsachen anzuziehen und dann über irgendwelche Kästen zu hüpfen, wobei man natürlich hängen bleiben und auf die Schnauze fliegen würde, das war absolut nicht Hannas Ding.
Emilys schon. Die turnte gerne und gut, sie war auch kleiner und kompakter. Oder Mannschaftssportarten – kotz! Baggern und pritschen beim Volleyball, obwohl sie da ziemlich punkten konnte, weil sie so groß war. Aber Emily war bei so was eifriger und deshalb besser. Schön, sie gönnte es ihr. Dafür war sie in anderen Dingen viel weiter.
Eine Entschuldigung, wenn man den Sportunterricht schwänzte, hat ein Mädchen immer. Der einzige Grund, warum die Tage nicht totale Scheiße waren. Und dann war Emily nicht da. Keine der anderen wusste, was los war, geschwänzt also. Hannas Laune verschlechterte sich rapide. Sie fläzte sich auf ihren Stuhl und ließ Englisch angewidert über sich ergehen.
*
Nanu? Köhler konnte SMS versenden? Am Ende beherrschte der Kerl auch noch sein Emailprogramm und sandte ihr nur deshalb keine Mails, weil er nicht wusste, wo er die Briefmarke draufkleben sollte. »Sie Missgeburt! Undankbares Stück! Bitte rufen Sie mich an.« Tat sie selbstverständlich nicht. Halb acht, sie hatte fast einen ganzen Arbeitstag hinter sich und einen ganzen gemütlichen Fernsehabend vor sich. Kevin ächzte im Schichtdienst, wie er ihr vorhin erzählt hatte, als sie ein wenig schäkerten und ausmachten, am Wochenende einmal »groß essen zu gehen«.
»Wie war dein erster Tag? Alles paletti?«
Sie war sprachlos.
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