Prinzessinnensöckchen (German Edition)
hier auch, aber anders. Es stank nach... Chloroform. Ja, genau, Chloroform oder so was. Nach dem Zeug, das sie ihr auf die Nase geträufelt hatten, bevor die Mandeln entfernt wurden.
Gott sei Dank war sie nicht nackt, das spürte sie. Jemand hatte ihr die Jacke ausgezogen, das merkte sie auch. Der weiche Stoff des Nickis, den sie in der Scheune... Die Scheune. Der Typ. Joey, der sich nicht gemeldet hatte, als sie nach ihm rief. Dann das Geräusch hinter ihr und dann... nichts mehr.
Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, machten graue Schemen aus, Formen. Sollte sie um Hilfe rufen? Besser nicht. Sie musste jetzt warten. Und sie hatte Hunger und Durst, vor allem Durst.
*
Was für ein Tag! Und wie schnell man doch lernte, wie eine Maschine zu funktionieren. Die Handgriffe waren Carmen in Fleisch und Blut übergegangen, die Kuchenstücke, die sie mit dem Messer schnitt, hätten jede EU-Norm erfüllt, selbst die Kaffeemaschine, eine manchmal widerborstige Zicke, hatte sich in ihr Schicksal ergeben und parierte, sobald Carmen in der Nähe war. Auch das geschäftsmäßige Lächeln ließ sich nach Bedarf ein- und ausschalten. Na ja, meistens. Als Herr Bankdirektor Völkert sich anzüglich grinsend vor der Tortenpracht aufbaute und Schwarzwälder Kirsch sowie ein Kännchen koffeinfreien Kaffee verlangte, musste sich Carmen zwingen, ihm nicht die finsterste Verbrechervisage zu zeigen, zu der sie fähig war.
»Hier ist ja allerhand los«, sagte Völkert und meinte nicht nur die vollbesetzten Tische. »Wer hier arbeitet, hat anscheinend ein höheres Risiko, eines gewaltsamen Todes zu sterben. Müsste man bei der Kreditvergabe berücksichtigen.« Sie hätte ihm sein dreckiges Grinsen am liebsten ins Maul gestopft, so wie Pohland die Söckchen hineingestopft worden waren.
»Joey lebt noch«, antwortete sie knapp und Völkert nickte, nun nachdenklicher. »Fragt sich nur, wie lange. Weiß man etwas Neues? Sind Sie auch von der Polizei befragt worden?«
»Nichts Neues. Ja.« antwortete Carmen. Ich bin doch nicht dein Auskunftsbüro. Außerdem hatte sie dieser Frau Dingsbums auch nicht weiterhelfen können. Sie war ja neu hier, sie kannte Joey kaum und von den Verhältnissen wusste sie sowieso gar nichts.
»Na dann«, zuckte Völkern mit den Schultern und suchte sich einen freien Platz, was nicht leicht war. Er fand ihn schließlich bei drei Damen, die den männlichen Zuwachs freudig begrüßten und sogleich zutexteten. Geschieht dir recht, dachte Carmen.
Winfried Starke hatte sich doch noch bereit gefunden, die bestellten Torten zu backen. Es duftete verführerisch aus der Backstube, wo Starke trübsinnig und in Gedanken weit weg seinen Teig knetete. Auch bei ihm kamen die Handbewegungen automatisch, er merkte gar nicht, was er da machte, er dachte an... An Joey? An das Mädchen? Warum an Hanna?
»Den Winnie nimmt das ja alles ziemlich mit. Hätte ich gar nicht gedacht, so wie er den Joey an die Kandare genommen hat.« Clara schüttelte den Kopf. »Du kennst ja den Spruch. Harte Schale, weicher Kern. Oder weicher Keks, wie man's nimmt. Der Winnie ist am liebsten für sich, der lebt auch wie ein Mönch in seinem Häuschen. Mit der Elke... na, landen konnte er wohl nicht bei der, die Konkurrenz war zu groß. Der Chef und so halt. Oh Gott, uns geht der Käsekuchen aus, wenn das so weitergeht. Ich geh mal nach hinten und frag, ob wir noch Nachschub haben.«
Sie musste Emily unbedingt noch einmal anrufen. Ihr sagen, sie solle sich bei ihrer Mutter melden, ihr mitteilen, sie komme heute später nach Hause. Nach acht, bei einer Freundin... was eben so die Ausreden sind. Aber dann hätte sie Emily auch sagen müssen, dass sie nachher nicht alleine zurückkommen würde. Sondern mit einem Polizisten. Kevin. Das war die Abmachung gewesen. Er wollte mit ihr sprechen, ein professionelles Gespräch, sozusagen. Dem hatte sie sich beugen müssen.
Sie seufzte und hievte das letzte Stück Käsekuchen auf den Teller.
25
Es roch nach Nagellack und Nagellackentferner, als Carmen die Tür zu ihrer Wohnung aufschloss. »Wie im Puff«, schnüffelte Kevin und fügte schnell hinzu: »Äh, ich war dort nur mal dienstlich. Razzia Menschenhandel.«
Emily war auf sein Erscheinen vorbereitet. Misstrauisch sah sie ihm, sich die Nägel trocken blasend, entgegen, sagte »hi« und zu Carmen: »Hab übrigens mit meiner Mum telefoniert. Bin bei Laura und bleib über Nacht, weil die krank ist, also nicht ansteckend. Findet sie voll in
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