Prinzessinnensöckchen (German Edition)
zum letzten Mittel.
*
Sie musste aufs Klo und zwar dringend. Die Vorstellung, in ihrer eigenen Pisse liegen zu müssen, brachte Hanna an den Rand des Wahnsinns. Alles, nur das nicht. Wie ein Säugling oder so eine alte demente Oma, oh mein Gott. Darüber vergaß sie Hunger und Durst, presste den Unterleib zusammen, rief schließlich »Hallo«, wenn auch etwas zaghaft. Aber mit Erfolg. Ein Geräusch, jemand kam näher, jemand öffnete eine Tür, ein Schlüsselbund rasselte.
Sie sah nur die Umrisse der Person, die jetzt vor ihr stand, etwas aus einer Tasche zu holen schien, sich zu ihr hinunterbeugte. Sie spürte etwas Weiches an ihren Augen, die Hände der Person an ihren Ohren, eine Art Gummi. Dann wurde die Welt vollständig schwarz. Die Person hatte ihr eine Augenmaske umgelegt.
Zwei Hände packten sie an den Oberarmen, zogen sie hoch. Vorher hatten diese Hände die Fußfesseln entfernt, Hanna stand, ihre Oberschenkel schmerzten höllisch, aber sie sagte nichts. Sie beide sagten nichts und Hanna fand, das sei gut so. Die Person führte sie. Sie erreichten einen Ort, an dem es so bestialisch stank, dass Hanna würgen musste. Die Person grummelte etwas. Machte sich an den Handfesseln des Mädchens zu schaffen, auch die lösten sich, auch die Arme schmerzten, als sie sie bewegte. Sie ertastete die Umrisse eines Klosetts. Hörte, wie hinter ihr eine Holztür quietschend ins Schloss gezogen wurde. Jetzt. Sie presste noch immer den Unterleib zusammen. Streifte die Hose hinunter, keine Sekunde zu früh. Wenn ich die Augenbinde hoch mache, bin ich tot.
26
Es musste sein. Die Idee hatte sich gegen Mitternacht in Carmens Kopf einzunisten begonnen, als sie die Fotografien aus Kati Pohlands Arbeitszimmer am Laptop studierte. Viel zu erkennen war nicht; eine PoVo Immobilien GmbH, an der Pohland beteiligt war, kaufte nach und nach Häuser in Oberwied auf. Nichts Kriminelles, auch wenn die Preise aus Sicht der Gesellschaft sehr günstig ausfielen. Man nutzte die Notlagen von Menschen aus, was moralisch fragwürdig war, aber nicht gegen Gesetze verstieß. Woher jedoch hatte PoVo seine Informationen? Po, das stand für Pohland. Und Vo? Für Völkert? Der als Direktor der örtlichen Sparkasse an der Quelle saß, die finanziellen Katastrophen seiner Kunden kannte und dieses Wissen einsetzte, um gemeinsam mit Pohland Kasse zu machen? Falls das zutraf, worin genau bestand der Profit? Man kauft günstig Häuser und Grundstücke, aber man verkauft sie nicht. Man scheint abzuwarten. Auf was?
Irgendwann schwirrte ihr der Kopf. Sie stand leise auf und warf einen Blick in ihr Schlafzimmer, wo Emily fest schlummerte und leise vor sich hin schnarchte. Muttergefühle, dachte Carmen, mein Gott, bin ich schon so alt, dass ich mich aufführen muss wie eine Glucke? Unwillkürlich dachte sie dabei an Elke, Hannas Mutter, und sofort überzog sich ihr Rücken mit einer Gänsehaut. In diesem Moment, da es zufälligerweise zwölf Schläge vom Kirchturm tat, sprang die Idee in ihren Kopf.
Jetzt war es kurz nach sieben. Emily schlief noch, Carmen selbst hatte nur wenige Stunden Schlaf genießen können – und Köhler, das ahnte sie, tat es Emily nach und pofte in seinem gemütlich warmen Bettchen. Sie würde ihn testen, aus dem Schlaf reißen, herausfinden, wie weit es her war mit der Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen. Sie nahm ihr Handy, wählte die Nummer und ließ es lärmen.
Köhler ging sofort ran. Plärrte, sehr munter schon, ein »Ja!« und reagierte auf Carmens »Ich bin's« mit einem nicht weniger geplärrten »Sie? Haben Sie auch einen Namen? Schon mal auf die Uhr geschaut?« Aha, er hatte sich nicht geändert. Hätte Carmen auch gewundert.
»Ich, ihre Exmitarbeiterin. Hören Sie mir zu: Wenn ich wieder für Sie arbeiten soll – nicht mehr so viel, nur noch für bestimmte größere Sachen – dann müssen Sie in Zukunft etwas netter zu mir sein.« Sie wusste natürlich, dass diese Forderung schier unerfüllbar sein würde und hatte, wenn sie ehrlich war, auch gar keine Lust auf einen netten, zuvorkommenden Chef. Der grunzte etwas Unverständliches und meinte dann: »So, so, auf einmal. Kriechen reumütig in den Schoß unseres Unternehmens zurück, Kaffeetanten mit Torte versorgen ist wohl doch nicht so das Wahre.« Aha, auch das wusste er natürlich schon.
Aber genau deshalb hatte sie ihn angerufen. Weil er alles wusste, Gott und die Welt kannte. Weil sie als offizielle Mitarbeiterin des Blättchens so etwas wie eine
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