Prinzessinnensöckchen (German Edition)
Carmen hatte den Vormittag frei. Jedenfalls so lange, bis sie an den Termin bei den ANONYMEN SPIELERN dachte. Aber sie weigerte sich standhaft, daran zu denken.
Sie deckten den winzigen Balkontisch, ein billiges, wackliges Ding aus Plastik, mit Carmens bestem Geschirr, ihrer sogenannten »Aussteuer«. Edles Porzellan, das ihr die Mutter in der Hoffnung geschenkt hatte, es wäre in der Lage, ihrer Tochter einen optimalen Ehemann zuzutreiben. Kitschig und altmodisch, aber heute Morgen passte es. Dazu, in der einzigen Vase, die Carmen besaß, Köhlers rote Rose. »Wow«, machte Emily und stieß einen Pfiff aus, »von welchem deiner Lover ist die? Von dem Dicken?«
Sie gab ihr einen Klaps auf den Po, Emily lachte »aua!« und klapste zurück. Zwei ungeschminkte Mädchen in ihren Pyjamas, Styling-Katastrophen ohne die Sicherheit ihrer Lippenstifte und Rouges, ihrer Eyeliner und Abdeckcremes, ihrer Haarsprays und Damennassrasierer. Das Enthaarungswachs nicht zu vergessen, das Emily im Badezimmer entdeckt hatte und dessen Gebrauchsanweisung sie sofort neugierig studierte.
»Fuck, wir sehen aus wie geschissen!«
So wie Emily hätte das Carmen vielleicht nicht gesagt; aber die ungeschminkte Wahrheit konnte furchtbar sein, ein Fall für den Fäkalienwortschatz. Sie rieben sich gegenseitig einen Klecks Nivea auf die Nasenspitzen und lachten dabei.
Es gab sogar weichgekochte Eier an diesem unbeschwerten Morgen. Carmen hoffte, sie seien nicht so alt, dass ihre Erzeugerinnen längst im Geflügelhimmel weilten. Nein, sie rochen gut und schmeckten noch besser.
»Was jetzt wohl Hanna macht?«
Damit endete der unbeschwerte Morgen. Emily hatte es vor sich hin gemurmelt, ohne eine Antwort zu erwarten, von wem auch. »Es geht ihr gut«, antwortete Carmen dennoch und sah aufmunternd zu dem Mädchen auf der anderen Seite des Tisches. »Sie ist deine beste Freundin, ja?«
»Meine einzige.« In Emilys linkem Mundwinkel hing ein wenig Eigelb, Carmen verspürte den Drang aufzustehen, die Kleine in den Arm zu nehmen, Gluckenverhalten, nein – ach was. Es war einfach so. Sie beherrschte sich.
»Weißt, die ist schon manchmal anstrengend. Ich meine, die kann auch nerven und wehe, es geschieht nicht so, wie sie das will. Aber andererseits – sie ist auch echt lieb und wir kuscheln viel.«
So eine Freundin hatte Carmen auch gehabt, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, Leonie. Ein freches, vorlautes Ding, mit dem man über alles reden konnte, die natürlich »ihr erstes Mal« vor allen anderen erlebt hatte und weise Ratschläge gab. Was wohl aus ihr geworden war? Sie hatten sich irgendwann aus den Augen verloren, mit achtzehn oder neunzehn, als Carmen ihre Heimatstadt verließ, studierte. Leonie war bei einem Fotografen in die Lehre gegangen, daran erinnerte sie sich noch. Eine Hübsche, ein großes Mädchen wie Hanna, nur nicht blond, dafür pechschwarze lange Haare.
»Hast du eigentlich... ich meine... du weißt schon.« Natürlich wusste Emily. Und schüttelte resolut den Kopf. »Nein. Hanna sagt auch, man wird nicht gerade süchtig davon.« Sie versuchte ein Lachen. »Also ich hab schon Angebote gehabt und manche Jungs sind ja auch echt süß. Aber...« Carmen nickte. Alles klar.
»Und Hanna?« »Die natürlich! Nicht so oft, glaub ich, aber schon mit zwei oder drei Jungs. Die haben sie auf Parties immer knülle gemacht, weißt, mit Alk, so Drinks. Hast noch Kakao?«
Ende des vertraulichen Mädchengesprächs. Sie saßen noch eine Weile auf dem Balkon, hielten ihre Gesichter in die Strahlen der Morgensonne. Das war alles so schön normal, so schön friedlich, so frei von Perversionen. »Soll ich dir heut Mittag was kochen?«, fragte Emily und fügte schnell hinzu: »Ich kann das! Aber du hast nicht viel im Kühlschrank, aber macht nix, ich hab schon eine Idee.«
Jetzt stand Carmen wirklich auf, ging zu Emily, nahm den Kopf des Mädchens und drückte ihn gegen ihren Bauch. »Ja, Liebes, das wäre wunderbar. Ich bin spätestens um halb eins wieder da, versprech ich dir. Und wir müssen um halb zwei los und diese eine Stunde, die genießen wir noch mal. Wer geht als erste ins Bad?«
»Du«, sagte Emily. »Erstens musst du gleich weg und zweitens brauch ich heute zwei Stunden. Ich seh wirklich aus wie schon mal gegessen.«
*
Was sollte das denn jetzt. Der Mann hatte Hanna von der Toilette zurück in ihr Gefängnis gebracht, am Oberarm festgehalten, aber nicht brutal. Er hatte ihr die Füße gefesselt, aber nicht die Hände. Dann
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