Professionelle Intelligenz - worauf es morgen ankommt
gegenüber. Autark musste man sein, alles selbst produzieren können! Bloß keine Abhängigkeit von den anderen, die damit sofort zu Erpressungen übergehen würden! So dachte nicht nur die Politik. Auch die Unternehmen führten Krieg, spionierten sich aus und lieferten sich Preisschlachten oder feindliche Übernahmen. Die großen Konzerne organisierten sich wie eigene Staaten, sie produzierten am liebsten auch das Kohlepapier für Fünffachformulare selbst, weil sie offenbar fürchteten, der Weltmarkt für Formulare könnte von einem anderen Konzern dominiert werden. Die Autarkie der Staaten und Unternehmen wurde mit zum Teil abstruser und lächerlicher Zwanghaftigkeit verfolgt.
Heute sind wir dreißig Jahre weiter. Unternehmen bilden Allianzen, sie gliedern Geschäftsteile aus. Sie sind Mittelpunkt von Zulieferersystemen oder Teil von Logistikketten. Jeder arbeitet mit jedem zusammen, nicht mehr gegeneinander! In den neuen interdependenten Ökosystemen geht es immer mehr um Zusammenarbeit vieler Unternehmen, die ihrerseits alle weltweit vernetzt sind.
Der Abschied von Krieg und vom eigennützigen Homo oeconomicus wurde Mitte der 90er-Jahre durch ein neues Wort angekündigt: Coopetition. Es stammt vom Novell-Gründer Raymond Noorda und kam durch einen Buchtitel in aller Munde (Barry J. Nalebuff, Adam M. Brandenburger: Co-opetition , Currency Doubleday, New York 1996).
Coopetition ist ein Kunstwort, nämlich eine Verbindung von Cooperation und Competition (also von Kooperation und Wettbewerb).
Es geht darum, dass in der digital vernetzten Welt einerseits alle Unternehmen mit allen zusammenarbeiten, andererseits natürlich auch Wettbewerber sind. Der Unternehmenserfolg hängt davon ab, dass das Unternehmen ganz normal professionell arbeitet und etwas Gutes leistet – unter Anlegung hoher Maßstäbe.
Diese Entwicklung von einer autarken Kriegswirtschaft zu einem Zusammenwirken in Ökosystemen vollzieht sich ganz genauso auf der Mikroebene der Mitarbeiter.
Keystone-Personalities und erfolgreiche Nischenspezialisten mit extrem guter Vernetzung sind gefragt. Ehrgeizige Ellenbogenmenschen brauchen wir nicht mehr. Gegen wen sollen die vielen Ellenbogen denn eingesetzt werden? Überlegen Sie: Früher mussten Sie sich gegen ein paar Kollegen durchsetzen, weil nur einer von allen in diesem Jahr befördert werden konnte. Heute arbeiten Sie in einem riesengroßen Netzwerk von Menschen, die Sie gar nicht alle bekriegen können! Wen wollen Sie denn in Ihrem Netz besiegen? Alle? Wie denn? Landlords und Dominators haben nur noch in den industrialisierten Niedriglohnjobbereichen ihren Platz wie früher.
Die Verschiebung aller Werte – wohin?
Nun kommt unsere Reise durch die vielen Veränderungen unserer Arbeitswelt langsam an ihr Ende. Wir haben beim Handwerker im Dorf angefangen, der nun die bessere Konkurrenz ein paar Dörfer weiter fürchten muss. Unser Blick weitete sich immer mehr, wir besprachen immer weitere Netzwerke, die globale Coopetition und die Notwendigkeit von Meta-Management.
Diese vielen Veränderungen bewirken eine anscheinend verwirrende Vielfalt von Änderungen in unseren Grundwerten, die immer diffuser werden und offenbar eine neue Richtung für die Zukunft suchen. Ich möchte darstellen, was im Kern vor sich geht, und hole dafür kurz aus.
Der Psychoanalytiker Fritz Riemann publizierte 1961 ein berühmtes Buch mit dem Titel Grundformen der Angst . Es ist längst zum Klassiker geworden. Riemann studierte darin vier Persönlichkeitsausrichtungen des Menschen, die sich in ihren Grundängsten unterscheiden:
• Angst vor Wandel (Merkmal der zwanghaften Persönlichkeit)
• Angst davor, dass alles notwendig so bleibt (Merkmal der hysterischen Persönlichkeit)
• Angst vor der Selbstwerdung (Merkmal der depressiven Persönlichkeit)
• Angst vor zu viel Nähe (Merkmal der schizoiden Persönlichkeit)
Sie merken, worauf ich hinauswill? Bitte nehmen Sie sich noch einen Moment die Zeit, diese verschiedenen Persönlichkeiten etwas näher kennenzulernen. Sie klingen irgendwie sehr krank, nicht wahr? Es sind eben psychologische Bezeichnungen! Rudolf Sponsel gibt in Die vier Grundstrukturen nach Fritz Riemanns Grundformen der Angst eine normalpsychologische Beschreibung der Eigenschaften. Ich lehne mich hier an.
• Zwanghafte Persönlichkeit: Sie zielt auf Recht und Ordnung, wahr und falsch, jede Frage hat eine richtige Antwort, sie liebt Kontrolle, Macht und Beherrschung. Alles muss perfekt sein. Sie ist
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