Professionelle Intelligenz - worauf es morgen ankommt
Erwartungen an unsere Persönlichkeit. Ja, auch die Sekretärin, auch die Sachbearbeiterin für die Grundsteuer müssen heute T-Shape-Spezialisten sein oder kleine Keystones für eine Etage in einem großen Bürohaus.
Ich kann folgende Übung wärmstens weiterempfehlen: Ich habe einmal ein Seminar veranstaltet, zu dem jeweils ein paar Studenten echte Bewerbungsanschreiben auf Stipendien, Werkstudentenjobs oder wirkliche Lebensstellen mitbrachten, die sie schon einmal abgeschickt hatten. Wir anonymisierten sie durch Schwärzen aller Namen und projizierten sie mit dem Beamer an die Wand. Die Seminarteilnehmer wussten nicht, wer von ihnen das Schreiben verfasst hatte. Sie sollten einfach geradeheraus sagen, ob sie diesen Bewerber einstellen würden oder nicht. Die Studenten waren damals durchweg niederschmetternd ehrlich. Die Anschreiben waren fast durchweg so schlecht, dass der anonyme Verfasser sofort als einziger Stiller mit einem roten Kopf in den Sitzreihen auffiel. Manche nahm ich nach dem Seminar fast in den Arm und tröstete … Insgesamt ist aber ungeheuer viel gelernt worden. Die Studenten waren einmal nicht verlegene Verfasser einer Bewerbung, sie übten sich als Arbeitgeber. Und plötzlich, aus der Sicht eines Arbeitgebers, verstanden sie, dass eine Universitäts-Sekretärin total nett sein soll, die ja mit ihnen als Studenten und dann mit vielen Wissenschaftlern in der Welt souverän umgehen muss. Sie verstanden, dass es darauf viel mehr ankommen würde als auf die Schnelligkeit beim Arbeiten oder die Zeugnisnoten. Sie verstanden, dass ein Sachbearbeiter in einem Finanzamt eben eine Steuerart ganz allein verantwortet und damit fast eine eigene Firma leitet. Ich hatte sie für ein paar Stunden dazu gebracht, mental als ganz normaler Abteilungsleiter zu agieren, der aus einem Stapel von zwanzig Bewerbungen drei oder vier wählt, die er anrufen will.
Wenn Sie wirklich einmal »Erkenne dich selbst!« üben wollen, lesen Sie Ihre eigene Bewerbung als Arbeitgeber. Oder zeigen Sie mit Bitte um Kommentar das Anschreiben einem Kollegen mit der Lüge, sie stamme von einem Freund, der Feedback erbitte. »Was meinst du denn dazu? So gut ist das nicht, oder?« Dann hören Sie einfach nur zu.
Ich habe als Professor immer gemahnt, die Studenten sollten an das Leben denken. Ich war nicht wirklich erfolgreich. Aber bei diesem Seminar sagten Studenten: »Den würde ich wegen der hohen Semesterzahl nicht nehmen. Wenn der für alles doppelt so lange braucht! Furchtbar!« Oder: »Schon wieder ein Anschreiben, wo einer sagt, er würde sich schnell in neue Gebiete einarbeiten. Das heißt doch, er glaubt nicht, dass er das kann, was in der Anzeige verlangt wird.« Oder: »Er schreibt, er habe ein hohes Verantwortungsgefühl. Das finde ich ganz doof. Er schreibt es nur, weil es in der Stellenanzeige vorkommt. Ich würde akzeptieren, wenn er ein paar Monate im Pflegeheim oder als Jugendtrainer gearbeitet hätte oder so. Aber nur behaupten? Da lache ich drüber.« Ich saß dabei, hatte Mitleid mit dem Opfer und dachte bei mir, dass die kollektive Leistung der Studenten fast einem professionellen Personalberater Ehre machen würde.
Rituelle Ziele ohne Vorbilder und Ideale
Wir merken, dass wir nach vielen Jahren des bloßen Effizienzstrebens in eine Abwärtsspirale geraten sind. Wir wissen von Tag zu Tag besser, was uns fehlt. Schauen Sie in die Zeitung! Das fehlt uns:
• Zukunftsvisionen (welche?)
• Forschung und Bildung (mehr!)
• Innovation (mehr!)
• Kreativität (mehr!)
• Vertrauen und Emotionen (mehr!)
• Attraktivität für Kunden (mehr!)
• Nachhaltigkeit (überhaupt) und schnellerer Wandel (mehr!)
• Entschlossenes Umsetzen (überhaupt)
• Gleichstellung der Geschlechter (50 Prozent)
• Und immer noch, aber nicht so drückend – Profit
Das sind nicht einmal Ziele, sondern nur Richtungen! Dabei haben wir jahrelang nur die Kosten gesenkt. Die Richtung »weniger« hat zusammen mit enormem Druck gereicht. Es ist immer gesagt worden, dass unter jahrelangem Kostendruck alles das, was wir jetzt vermissen, zerstört wird. Nun ist es wirklich in großem Ausmaße zerstört. Aufbauen ist aber etwas anderes als einsparen! Fleisch züchten ist etwas anderes als Fett schneiden, die Zukunft auf Kredit verkaufen etwas anderes als eine aufzubauen. Um wirklich etwas aufzubauen, müssen wir schon wissen, was wir säen und züchten.
Effizienzstreben standardisiert, verbilligt und industrialisiert, aber es erschafft
Weitere Kostenlose Bücher