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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Speer fester. »Loki?« Und noch während er fragt, weiß er, dass nicht der Bruder vor ihm steht.
    Das Wesen wirft den Kopf in den Nacken. Augen wie brennende Kohlen starren ihn an. Ein Mund, dunkle Öffnung in gleißendem Glast. Er glaubt, Lippen zu sehen, die brennende Zunge, schimmernde Zähne. Die Feuerzunge schießt aus dem Mund, ehe er sich versieht und seine Schulter beginnt zu brennen. Er spürt die Hitze, aber noch mehr spürt er das Brennen seines rasenden Geistes. Was ist dieses Wesen? War er im Irrtum? Ist dies sein Ende, findet er es hier, tief unter den Wurzeln der ragenden Esche?
    Seine Hand hebt den Speer, ohne dass er der Bewegung gewahr wird, und stößt Gungnir tief in das tosende Feuer. Das Holz, hart wie Stein und so alt wie die Welt, beginnt zu brennen, als wäre es dürres Gezweig. Das Wesen streckt die Arme aus, es lacht! Lacht über ihn, über seine müßige Tat, seinen machtlosen, kraftlosen Arm. Brenne, Greis, so trocken wie das Holz deines Speeres. Kein sanfter, schleichender Tod auf dem einsamen Lager; kein letztes Verglühen in Ehre und Ruhm. Schmachvoll tief unten in Hels düsterem Reich, ein Häuflein Asche, von Ratten verstreut.
    Er reckt die Hand nach dem Feuergeist, will ihn allein mit der Anstrengung seines Willens löschen. Doch das Wesen entzieht sich, wirft den Kopf empor und lacht! Lacht die tödliche Flamme hoch empor in die Luft und lässt Yggdrasils alte Wurzel erblühen – rot, golden, Frühlingsgrün und eisblau frisst die Flammenblüte sich tief hinein in das lebende Holz. Rast empor, brüllt und tobt und verschlingt in Windeseile den ragenden Stamm des Baumes, der den Himmel trägt und die Welten schirmt.
    Dass sein eigenes Fleisch brennt, hat ihn getroffen wie das Schwert eines Feindes, aber es hat ihn nicht aufschreien lassen. Doch dieser Brand, der Weltenbrand, der alles zerstört, was ihm heilig und hehr – Er schreit, und sein Schrei erschüttert die Welt.
    »Odin.« Die Hand, die ihn sacht an der Schulter berührte, packt ihn nun fester und schüttelt ihn. »Mein Liebster, wach auf!«
    Er fährt hoch, wischt sich über das Gesicht, spürt Nässe. Tränen?
    Die Wala betrachtet ihn voller Sorge. Sie lässt seine Schulter los, und er tastet darüber, wundert sich. Kein verbranntes Fleisch. Sein Mantel, der lichterloh Entflammte, hängt dort drüben am Haken. In der Ecke lehnt Gungnir, unversehrt.
    Er entlässt zitternd den Atem, lehnt die Schultern gegen die Wand. Prüft mit Blicken, dass rundherum nichts in Flammen steht, kein Rauchgeruch, keine dunklen Wolken, die vor dem Fenster ziehen. Friede. Ruhe. Das Plätschern von Urds stiller Quelle.
    »Jörd, ich träumte«, sagt er leise. »Das Ende, das flammende Ende … Der Weltenbaum brennt.«
    Sie hält ihm den Becher hin, den sie mit bebender Hand gefüllt hat. Tropfen laufen an seinem Rand herab und fallen wie Blut auf das weiße Laken, das seinen Leib im Schlaf bedeckte wie ein Totengewand.
    Er trinkt und schließt das Auge. »Jörd, meine Wala«, flüstert er. »Ich fürchte mich. Verlache mich, Welt. Der Allvater greint wie ein ängstliches Kind.«
    Sie schlingt die Arme um ihn und hält ihn fest. Sein Kopf ruht an ihrer Schulter. Er trinkt ihre Stärke, nährt sich von ihrer Zuversicht, klammert sich an ihre Klugheit.
    »Erzähle mir«, sagt sie. Sie sitzen am Feuer, das gezähmt und friedlich im Herd seinen stillen Tanz des Sterbens und Vergehens tanzt. Er hat nicht gesprochen, während sie den heißen, nährenden Trank bereitete, der ihm nun im Becher dampft. Honig und Gewürze machen ihn schwer und süß. Er rührt ihn nicht an. Er regt kein Glied, starrt ins Feuer mit finsterem Blick.
    »Erzähle mir, wie du Brynhild, unsere Tochter, verstießest. Erzähle mir, wie du unser Enkelkind fandest und was du zu ihr sprachst. Erzähle mir, was du gesehen hast. Erzähle mir, wie sie starb.«
    Er regt sich nicht. Dann wendet er langsam, langsam den Blick und sieht sie an. Sein Auge ist dunkel wie der nächtliche Schatten des Sees. Er nickt. Schweigt. Trinkt den sämigen, süßen, berauschenden Trank und schließt das Auge. Eine Träne, so schwarz wie das Wasser der Quelle, dringt hervor und bahnt sich den Weg über die bärtige Wange.
    »Einst«, hebt er flüsternd an, das Lied zu singen, das ihm das Herz durchbohrt.
    Einst stand sie vor ihm. Brynhildr, die Goldene. Sie reckte das Haupt, hob trotzig das Kinn, aber in ihren Augen las er die Angst. Angst vor ihm, dem zürnenden Allvater.
    Sie hatte ihn verraten.

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