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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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auf seine Frau, die still, mit weit offenem Auge, steht und lauscht. Zu verstehen sich müht.
    »Du gehst den Weg deiner Ahnen?«, fragt Odin, ungläubig.
    »Ich … suchte … Schlaf.« Die Stimme, so mühsam. Der Felsen regt sich atmend. »Geh …! Dies … ist … nicht … dein … Land.«
    Odin hebt das Haupt. »Dies ist nicht mein Land? Allvater bin ich.«
    Der Stein lacht. »Dann … bleib und … befiehl dem Sturm, zu schweigen. Dem Schnee … zu schmelzen.« Schneller folgen die Worte nun aufeinander, der Schläfer erwacht.
    Mit einer heftigen Bewegung wendet Odin sich ab. »Was geht hier vor sich?«, fragt er den Fels, an den die Wala sich lehnt. »Ich habe die Wunden gesehen, die deine Sippe dort draußen ins Erdreich riss; die Krater, in denen ihre Leiber ruhten; die aufgeworfenen Wälle, die herausgerissenen Bäume. Wohin sind sie gegangen? Was habt ihr vor?« Misstrauen, schwarz wie die Nacht, tief wie Urds Brunnen, färbt seine Stimme.
    Der Felsen schweigt. Tief orgelt der Atem. Aus Tiefen, die dunkel sind und kalt, tönt endlich die Stimme: »Ich bin nicht … Rechenschaft schuldig, mein Bruder, über Dinge, die mein Volk tut, während … ich schlafe.«
    Allvater schüttelt zornig den Speer. »Du verschwörst dich gegen mich, Lügengott. Du spinnst deine Ränke, sammelst deine Truppen. Ist Naglfar * , das Totenschiff, bereit für seine letzte Fahrt? Sind seine Segel schon gesetzt?«
    Noch länger die Pause. Stöhnend der erwachende Atem. »Ich wende mich nicht gegen dich«, erklingt endlich die Antwort. »Doch du, Odin, steh nicht im Weg, wenn die Flut hereinbricht. Sie spült dich fort, mein Bruder. Rette dich und dein kleines Leben. Wende dich nicht gegen den Weltenbrand. Du kannst ihn nicht hindern.«
    Die Wala stößt den Atem aus. »So hat er doch Recht?«, fragt sie. »Loki, trugvoller Täuscher und gleisnerischer Geist – hat Allvater wirklich Recht? Sinnst du auf unser aller Ende?«
    Der Stein stöhnt, tief und voll Qual. »Ich will, dass ihr lebt. Du selbst sahst unser Ende, Wala, weiseste Frau. Ich bin es nicht, der es herbeiruft. Geht, rettet euch! Die Flut kommt! Naglfar läuft aus! Die Esche wird brennen!«
    Draußen vernimmt Lokis wilder Sohn den Schrei, den sein Vater aus den Tiefen der Erde hinaus ins kalte Zwielicht Jötunheims stößt. Er heult, wild und laut, ein wortloses Echo.
    Odin steht stumm. Die Wala starrt hinaus in den Sturm und sieht einen anderen, weit wilderen Wind, der wütet und brüllt und alles zerstört.
    »Ragnarök«, sagt sie mit lebloser Stimme. »Wir wenden es nicht. Duckt euch, kleine Leben. Bergt euch zitternd in euren Löchern. Die Welt wird brennen. Fallen wird Yggdrasils ragender Stamm.«
    »Wir wenden es nicht«, flüstert ersterbend der Stein. »Wir sind die Alten. Wir werden verschlungen und auf unseren Knochen entsteht eine neue Welt – heller als diese.«
    Odin stößt seinen Speer auf den Grund, der Boden erzittert. »Ich werde es zu wenden wissen.« Seine Stimme ist leise und übertönt doch den Sturm. »So lange diese Hand Gungnirs Schaft umschließt, wird die Weltesche weiter den Himmel stützen.« Seine Worte verhallen, der Felsen schweigt.
    Zorn liegt auf seiner Zunge, er zerbeißt ihn und schluckt ihn hinunter wie bittere Beeren. »Sag mir, Loki«, fordert er den Bruder, »wenn du denn nicht mein Feind sein willst – wie finde ich den Weg in die Welt der Toten, die fremde, die unzugängliche?«
    »Lass ab«, wispert der Stein. »Sie ist dir entzogen, Bruder. Lass sie ihren Weg gehen, er ist nicht mehr der deine.«
    »Du wirst mir den Weg hinein weisen.« Allvaters Stimme ist ruhig, doch unter der Ruhe droht Sturm. »Es war meine Entscheidung, mein Wille, der mein Tochterkind zu einer der unseren machte. Es wird mein Wille, meine Entscheidung sein, der verfügt, ob sie lebt oder stirbt.«
    Die Wala rührt an seine Hand. »Odin«, sagt sie leise. »Er hat recht. Lass sie gehen. Wenn es ihr bestimmt ist, zu uns zurückzukehren, wird sie den Weg hinaus zu finden wissen.«
    Sein Blick, eishell und stürmisch wie Schnee und Gewitter, trifft sie wie blanker Stahl, aber sie weicht nicht zurück. »Warum?«, sagt er. »Du gehst mit mir den beschwerlichen Weg durch neun Welten, und hier, jetzt, rätst du mir, aufzugeben? Nach Hause zurückzukehren, mich an den Ofen zu setzen – zu sterben?«
    »Hör auf sie«, wispert der Felsen, und fast unhörbar ist seine Stimme. »Urweise, Seherin. Sieh, dass ich Wahrheit im Herzen trage.«
    »Er lügt selbst als

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