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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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sie an der Schulter berührte, schlug sie weg. Den Arm, der sich um sie legte, duldete sie, weil sie zu schwach war, sich zu wehren. Sie hörte die Stimme, die beruhigend und doch voller Angst ihren Namen sagte. »Ash. Ash, ich bin es. Du bist hier, du bist in Sicherheit. Ashley, hör auf zu schreien. Ash – Hjördis. Ich bin hier, ich bin bei dir.«
    Sie öffnete die Augen. Erkannte nicht gleich das Gesicht, das sich über sie beugte. Dunkle Augen, dämmergrau. Schwarzes Haar, rabenfedernschwarz. Ein dunkles, besorgtes Gesicht. Jung. Sanft. Mit einem Mund, den noch nicht die Härte der späteren Lebensjahre zeichnete. Sie erkannte das Gesicht, obwohl es viel zu jung war. Wie viele Zeitalter würde es dauern, bis er wieder so aussah, wie sie ihn kannte? Mit den Falten des Zorns über der Nasenwurzel und den Lachkringeln in den Mundwinkeln, mit den Spuren, die nur die Zeit in einem Gesicht hinterlassen kann? Mit all der Härte, die ein Leben in ein weiches Jungengesicht meißelt? Ash hörte sich seufzen. »Dellinger«, sagte sie. Nein, das war er nicht. Dieser hatte schwarzes Haar, kein aschblondes. Wem gehörte dieses Gesicht?
    »Ravi«, sagte der Junge. »Ich bin es doch, Ravi.«
    »Ravi«, wiederholte sie. Der junge Engel. Macnamaras Assistent. Akten. Die Zentrale. Dellinger war der Leiter des PLANs. Was lief denn in ihrem Kopf gerade alles durcheinander?
    Sie griff nach der stützenden Hand des jungen Mannes und setzte sich auf. Eldurs Zimmer. Im Ofen brannte ein Feuer. Sie schüttelte den Kopf und fühlte, wie alles wieder an seine Stelle rückte.
    »Es hat nicht funktioniert, oder?« Seine Stimme klang enttäuscht.
    Ash rieb sich über das Gesicht, fuhr sich über die Haare, fühlte in ihrem Inneren nach dem, was sie so erschüttert hatte. Fand eine gut geschlossene Tür. Heulten dahinter Dämonen? Sie würde sie geschlossen halten, es war besser so.
    Ash blickte auf und schüttelte bedauernd den Kopf. »Es hat nicht funktioniert. Glaube ich zumindest.«
    Ravi betrachtete die halbe Tablette in seiner Hand. »Und wenn du die noch hinterher …«
    »Nein«, rief Ash und hob abwehrend die Hände. »Das werde ich ganz sicher nicht tun!« Sie zögerte. »Vielleicht solltest du es auch probieren. Sie hat etwas bewirkt, aber ich kann dir nicht genau sagen, was es war.« Geschlossene Tür. Heulende Dämonen. Ein Reifriese, der sie reglos beobachtete, während sie starb. Ash schüttelte sich.
    »Probier es«, sagte sie heiser. »Ich bin hier, ich lebe noch, es war erschreckend, aber nicht tödlich.«
    Ravi runzelte die Stirn. »Du machst mir nicht gerade Mut«, sagte er. »Aber es würde mir keine Ruhe lassen.« Er schob die Tablettenhälfte in den Mund und schluckte.
    Ash beobachtete, wie seine Augen sich verdunkelten, schlossen. Sein Atem ging schneller. Schweißperlen traten auf seine Stirn, seine Oberlippe. Ash hielt ihn fest. Die Haut seiner Wange und seiner Hände fühlte sich kalt und feucht an. Er begann zu hecheln.
    Ash nahm die Decke vom Fußende der Liege und wickelte ihn ein. Sie nahm seine kalten Hände, rieb sie. Rief seinen Namen, leise, beruhigend, wie ein Signal, das ihn führen sollte. Redete auf ihn ein. »Hab keine Angst. Ich bin hier. Du bist in Sicherheit. Dir kann nichts passieren. Ravi, komm zurück. Es ist nur in deinem Kopf, nichts davon ist real …«
    Sie hörte sich selbst zu. Die fernen Schreie in ihrem Kopf. Nicht real? Es war verflucht noch mal realer als diese erstarrte Welt, in der sie gefangen waren. Alles war realer als das hier. Ash umklammerte Ravis Hand. Sie musste so schnell wie möglich von hier fliehen. Mit jedem Tag, den sie länger blieb, sich mehr an das Nichtleben hier gewöhnte, würde es schwerer werden, zu entkommen. Es spann sie ein wie eine Spinne ihr Opfer. Wann würde sie aufhören, darüber nachzudenken? Wann kam der Tag, an dem sie sich damit abfand, keine Vergangenheit und keine Zukunft mehr zu besitzen? Einen Namen, an dem sie selbst zu zweifeln begonnen hatte?
    Ash hielt Ravis Hand und kämpfte gegen den Impuls, die Tür zu ihrer Vergangenheit ein zweites Mal zu öffnen und alles hereinzulassen, was sie dort eingeschlossen hatte. Sie hatte es eingeschlossen. Niemand hatte ihr diese Erinnerungen genommen. Das hätte niemand gekonnt. Warum wusste sie das? Es war so. Jemand wie Ravi, der jung war und unerfahren, der nicht mehr als ein einziges Leben gelebt hatte – und das noch nicht einmal zu einem Viertel – so jemandem konnten sie die Erinnerung nehmen, wie man

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