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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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einer Blume die Blüte abknipste. Aber sie? Ein Baum voller Erinnerungen? Zweig um Zweig, Blatt um Blatt, Frucht um Frucht gewachsen in Jahrhunderten? Niemand war dazu in der Lage.
    Ash biss die Zähne zusammen, schloss die Augen. Schob die Tür gewaltsam zu, die erneut einen Spalt aufgesprungen war. Nicht hier, nicht jetzt. Sie würde einen Ort finden müssen, an dem sie sich den unzähligen Leben stellte, den Myriaden an Erinnerungen, der Last an Namen, Gesichtern, Gefühlen, Gedanken. Nicht hier und nicht jetzt. Hier und jetzt musste sie den Weg hinaus finden und beschreiten, mit oder ohne Ravi.
    »Komm zurück, Ravi Surya Malhotra«, sagte sie laut und bestimmt. »Jetzt.«
    Ravis Atem normalisierte sich. Er öffnete die Augen und sah sie an. »Wie hast du das gemacht?«, fragte er mit schwacher Stimme. Er hustete. Dann verdrehten sich seine Augen, bis sie nur noch das Weiße sah. Er röchelte.
    Ash klapste fest auf seine Wangen. »Hiergeblieben, Anwärter Malhotra«, sagte sie scharf. »Hör mir zu. Nimm die Tür und schließe sie. Lehn dich dagegen. Du bist der Herr über deine Erinnerungen. Du kannst sie eine nach der anderen zu dir hereinlassen. Nicht alle auf einmal. Hörst du mich?«
    Er nickte mit zusammengepressten Lippen. »Höre dich«, stieß er hervor. »Tür – ist geschlossen.«
    Ash rieb seine Hände. »Gut gemacht. Jetzt tief atmen. Gleichmäßig. Es wird dir gleich besser gehen.«
    Als Ravi seine Augen öffnete, hatten seine Pupillen wieder die normale Größe. Er versuchte ein Lächeln, etwas zittrig, aber immerhin. »Uh, was für ein Höllentrip«, sagte er.
    Ash seufzte und rieb sich über die Augen. »Was machst du jetzt damit?«
    Er setzte sich auf und streifte die Decke ab. »Es sind meine Erinnerungen, das denke ich zumindest«, erwiderte er nüchtern. »Ich muss eine Möglichkeit finden, sie wieder zu assimilieren.«
    »Sag mir Bescheid, wenn es geklappt hat. Ich hab da auch die eine oder andere Information, die verarbeitet werden muss.« Ash erhob sich. »Zeit, sich dem missmutigen Major Macnamara zu stellen. Willst du noch eine Weile hierbleiben und dich ausruhen?«
    Ravi sprang auf die Füße. »Er köpft mich, wenn ich noch länger fortbleibe. Komm schon, er hat sich bestimmt inzwischen abgeregt.«
    Das hatte er nicht, wie Ash schnell feststellte. Aber es war ihr gleichgültig. Sie stand immer noch mit dem Rücken an die Tür gelehnt, hinter der ihre Erinnerungen durcheinanderschrien und herauswollten. Es war das erste Mal, dass sie sich auf die Übungsstunde im Nullraum freute.
    Dann schwebte sie mitten im grauen Nichts und starrte auf die Metallscheibe herab, die seltsamerweise frei vor ihr im Raum hing. Ash hatte sich gefragt, wie man ohne erkennbaren Körper einen Gegenstand bedienen konnte – aber hier war sie und blinkte freundlich. Gut.
    »Was jetzt?«, fragte Ash.
    Macnamaras verzerrt klingende Stimme erwiderte: »Denk an deine Zielperson. Stell sie dir so plastisch wie möglich vor.«
    Ash schnaubte. Plastisch? Sie hatte nur ein paar armselige Informationen und zwei grobkörnige Fotografien von dem Kerl.
    Die Scheibe blinkte weiter ungerührt vor sich hin. Nichts änderte sich.
    »Und jetzt?«
    Macnamara grunzte. »Deine Zielperson existiert nicht«, sagte er. »Oder der Annullator ist falsch eingestellt worden. Beides eher ungewöhnlich. Vielleicht ist das Ortungsgerät defekt. Test, Fraxinus.«
    Ash veränderte ihren geistigen Fokus und dachte an Ravi. Die roten Markierungen leuchteten auf, deuteten auf die Zentrale. »Es funktioniert«, meldete sie. Sie wechselte ihren Fokus, dachte an Eldur – Loki. Die roten Signale erloschen, wieder blinkte das Ortungsgerät in kaltem Blau.
    »Ah«, sagte Ash überrascht. »Wenn sich jemand in – sagen wir mal – Jötunheim aufhält. Wie erkenne ich das hiermit?«
    »Wo?«, fragte Macnamaras körperlose Stimme. »Wovon redest du …« Seine Stimme verzerrte sich noch weiter, wurde leise, undeutlich, verstummte.
    Ein Kribbeln veranlasste Ash, ihre Aufmersamkeit von der Scheibe abzuwenden. Neben Ash schwebte still der dunkle Engel, Luzifer. Seine fraktalen Flügel bewegten sich sanft im Quantenstrom.
    »Du bist wieder vollständig«, sagte er.
    Ash verstand nicht, was er sagen wollte. »Es hat sich nichts verändert«, erwiderte sie. »Ich hänge fest, genau wie du.«
    Sein ernstes Gesicht zeigte keine erkennbare Regung. »Es ist nur eine Frage der Blickrichtung, ob wirklich ich es bin, der festhängt, oder ob alles andere gefangen

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