Projekt Atlantis
gelernt haben sollten. So wie uns Märchen etwas über Recht und Unrecht erzählen, über Ängste, über Regeln, über Moral, so liegt in allen überlieferten Legenden offenbar eine Wahrheit, die sie hat überleben lassen. Die Bibel oder die religiösen Texte anderer Religionen sind natürlich das Paradebeispiel dafür. Aber auch die Geschichte von Atlantis hat einen Kern, der unabhängig davon, ob es den Kontinent je gab, etwas aussagen will.«
»Demut«, sagte Patrick.
Peter sah ihn einen Augenblick lang an. »Ja, so könnte man es sagen. Ich denke, es fehlt in allem an Demut. Demut den überlieferten Weisheiten gegenüber, Demut den alles umfassenden Zusammenhängen gegenüber und Demut der Zukunft unseres Planeten gegenüber...«
Sie verbrachten die restliche Zeit des Frühstücks größtenteils schweigend, und jeder hing seinen Gedanken nach. Patrick erkannte in Peters Ausführungen ähnliche Beobachtungen, wie er sie selbst in den letzten Jahren zunehmend gemacht hatte. Er hatte dies darauf zurückgeführt, dass er in jener Höhle in Südfrankreich gewesen war, die etwas in seinem Denken verändert hatte. Doch auch Peter schien es so zu gehen. Vielleicht war das durch ihr Projekt in Ägypten ausgelöst worden?
Als sie sich nach dem Essen zurücklehnten, fragte Patrick: »Was hatte Ihnen der Typ da vorhin eigentlich zugesteckt?«
Peter griff sich an die Brusttasche und holte eine Visitenkarte hervor.
»Jeremiah Carpenter«, las er vor. »Ein Redakteur von Coast to Coast AM, scheint eine Radiosendung zu sein.«
»Nie gehört.«
Peter reichte die Karte seinem Kollegen. »Ich frage mich inzwischen, ob es nicht tatsächlich sinnvoll wäre, die Medien einzubinden. Oder ihnen zumindest Informationen zu geben. Mitzuspielen.«
»Wozu sollte das gut sein?«
»Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher. Aber vermutlich ist es nicht vorteilhaft, die Medien gegen sich zu haben, was wir durch allzu rüdes Verhalten möglicherweise provozieren.«
»Ja, ja, schon verstanden. Na und? Schieben Sie's dem Franzosen in die Schuhe. Macht mir nichts aus.«
»Nun, aber mir macht es etwas aus, mit Verlaub. Sie wissen selbst, dass das Projekt alle Bedingungen erfüllt, um einen Forscher bis zu seinem Lebensende lächerlich zu machen. Vielleicht wäre es da angebracht, zumindest die Berichterstattung – die wir ganz offenbar nicht verhindern können – ein wenig zu unseren Gunsten zu beeinflussen.«
»Und Sie denken, das klappt, indem Sie den Geiern ein paar Brocken hinwerfen. Ein Interview hier, ein paar Fotos dort, und alles wird gut?«
»Ich würde nicht zögern, wenn es so wäre. Wir haben beide keine Erfahrung im Umgang mit der Presse. Dennoch überlege ich, ob an dem Angebot dieser Kathleen Denver nicht etwas dran war.«
»Sie hat Ihnen gefallen, was?« Patrick grinste. »Sie alter Fuchs.«
»Sie sollten nicht so schnell von sich auf andere schließen, Patrick.«
»Sie war mir viel zu alt.«
»Aber wenn sie Mitte zwanzig gewesen wäre, hätten Sie sie vermutlich schon angerufen.«
Patrick zuckte scheinheilig mit den Schultern. »Ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen.«
»Wie dem auch sei. Jedenfalls stimme ich unserem Kapitän zu, wenn er sagt, dass wir uns Gedanken über unseren Umgang mit der Presse machen sollten. Und eine offizielle Berichterstattung hätte einen weiteren Vorteil: Was auch immer uns zustößt, auf welche Schwierigkeiten wir auch stoßen mögen, wir würden nicht wieder wie bei den letzten beiden Projekten in einem undurchsichtigen Gewirr von Interessengruppen unter die Räder kommen.«
Patrick nickte. »Da ist vielleicht etwas Wahres dran...«
»Wir sollten zurück aufs Schiff, denke ich. Oder wollten Sie sich hier noch ein bisschen umsehen?«
»Nein. Auf geht's.«
Hotel Atlantis, Paradise Island, Bahamas
González stand neben dem Kapitän der Libertad an einem hohen Fenster, das den Blick auf Nassau freigab. Er nahm einen Schluck Rum und ließ ihn die Kehle hinabrinnen. Dabei verzog er sein Gesicht. Kubanischer Exportrum für Touristen. In Massen produzierte Billigware, die hier teuer verkauft wurde. Was für ein schwacher Abklatsch! Aber selbst in dem, was man aus seiner Heimat so abfällig über die Grenzen spuckte, war immer noch mehr Seele zu spüren als in jedem amerikanischen Fusel.
Die Seele Kubas. In winzige Portionen abgefüllt und verkauft. Und eines Tages würde nichts mehr übrig sein. Sie waren ein gefangenes und verkauftes Volk. Kuba brauchte Leute, die sich
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