Projekt Atlantis
reichte Walters die Hand, der sie flüchtig entgegennahm und sofort wieder zurückzuckte.
»Ja, ich bin Commander Walters. Vereinbaren Sie doch bitte einen Termin mit meinem Büro.« Walters wies unbestimmt in die Richtung der Basis und machte Anstalten weiterzujoggen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, dass ihn irgendwelche Leute belästigten, wenn er versuchte, ein wenig abzuschalten.
»Es geht um den Weißwasservorfall«, sagte Gabriel.
Walters blieb stehen, sah sich aber nicht um.
»Sie haben sich gestern beim CSS gemeldet«, fuhr Gabriel fort. »Ich möchte gerne mit Ihnen darüber sprechen.«
CSS, der Central Security Service! Walters überlegte. Konnte es sein, dass man ihn derart schnell aufsuchte? Die NSA, zu der der CSS gehörte, war berüchtigt für ihre Agenten, die Men in Black, die auftauchten und ebenso schnell wieder verschwanden, ohne Spuren zu hinterlassen. Und der Vorfall schien immerhin wichtig genug zu sein. Aber hatte die Mail nicht besagt, dass er sich in vierundzwanzig Stunden zurückmelden solle? Von einer Kontaktaufnahme war nicht die Rede gewesen.
Walters drehte sich um und fragte: »Wer schickt Sie?«
»Keine Regierungsstelle, die Ihnen bekannt wäre«, gab Gabriel zurück. »Ich habe auch keine Befugnis, Ihnen Anweisungen zu geben. Sie müssen nicht einmal mit mir reden, wenn Sie es nicht wünschen. Ich würde es allerdings begrüßen, wenn Sie sich einen Moment Zeit nehmen könnten.«
Ein Spinner, schoss es Walters durch den Kopf. Wieder einer von diesen Verschwörungstheoretikern, wie sie immer wieder auf Andros auftauchten. Andererseits, überlegte er, waren es selten ältere Herrschaften, die sich vornehm kleideten und sich gewählt auszudrücken verstanden.
»Also gut, sagen Sie, was Sie zu sagen haben.« Er sah auf seine Uhr. »Fünf Minuten.«
Gabriel nickte und setzte sich bedächtig in Bewegung. »Fünf Minuten sind keine lange Zeit, doch im Angesicht der Jahrtausende nicht unbedeutender als eine ganze Woche. Augenblicke wichtiger Entscheidungen sind stets kurz, oft viel zu kurz im Vergleich zu ihren Auswirkungen.«
Walters schwieg. Je weniger er sagen musste, desto besser. Sollte der Mann ruhig plaudern. Wie alt mochte er sein? Sechzig? Älter? Schwer zu schätzen. Er bemerkte einen rotgoldenen Siegelring an seiner Hand mit einem seltsamen Muster aus konzentrischen Kreisen.
Gabriel fuhr fort, langsam, geradezu andächtig und mit so langen Pausen, als hätte er alle Zeit der Welt. »Oft stellen wir uns die Frage, zu welchen Auswirkungen andere Entscheidungen geführt hätten. Wir fragen uns, wie viel wir wirklich bewirkt haben, hätten bewirken können. Dabei wäre es viel wichtiger, sich bewusst zu sein, wie viel wir bewirken wollen. Was ist uns wichtig? Wofür setzen wir uns ein? Wollen wir Teil der Krankheit oder Teil der Heilung sein? Und wenn Ignoranz die Krankheit der Welt ist, was ist unser Anteil daran?«
Noch immer sagte Walters nichts. Der Alte sollte zum Punkt kommen. Außerdem wusste er nicht, was er erwidern könnte. Denn auf eine seltsame Weise betraf es ihn, was er sagte.
»Der trügerische Gedanke, dass man machtlos sei, raubt uns jede Kraft, umnebelt den Geist, hüllt uns in Apathie. Wenn wir nichts entscheiden, entscheiden andere für uns. Doch allein es versucht zu haben, ist mehr wert als jedes Bedauern, wenn der Tag gekommen ist, der uns vor die Taten unseres Lebens treten lässt und unsere Seele richtet.«
Gabriel blieb stehen und sah Walters an.
»Ein solcher Tag kommt für jeden von uns. An welchen Gott Sie auch glauben: Ihre Seele kennt sich selbst. Und am Ende fällt alles auf Sie zurück.«
»Sind Sie ein Wanderprediger?!«, fragte Walters. Die Worte stießen etwas schärfer hervor, als er geplant hatte.
Gabriel lächelte. »Es geht um die beiden Schiffe, die Sie beobachten«, sagte er dann. »Es sind Forschungsschiffe auf der Suche nach Antworten. Sie möchten etwas über unsere Vergangenheit erfahren, über unsere Geschichte, unser Menschsein. Und zugleich gibt es das Militär und den Geheimdienst, der ganz offenbar ebenfalls ein Interesse daran hat... Man muss sich zwangsläufig fragen, was es dort zu entdecken gibt.«
»Es ist nicht meine Aufgabe, mich in diese Angelegenheiten einzumischen. Und Ihre vermutlich auch nicht.«
»Es gibt zweierlei Aufgaben. Solche, zu denen uns andere verpflichten, und solche, die wir uns selbst wählen. Zu ersteren treibt uns unser Verstand, zu letzteren unser Herz.«
»Was wollen Sie nun
Weitere Kostenlose Bücher