Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
anlegte.
»Sag Chen …«, brachte er unter Stöhnen heraus. »Sag ihm … es tut mir so leid.«
Die Sicherheitsleute zogen Frostbite auf die Füße und zerrten ihn aus dem Raum. Ein kurzes Aufleuchten von Blau war das Letzte, was Iridium für beinahe ein Jahr von ihm sehen sollte.
KAPITEL 46
JET
Sie missverstehen das. Der Akademie geht es nicht darum, ihren Schülern wehzutun – es geht ihr darum, ihnen zu helfen. Leider kommt die Hilfe in manchen Fällen zu spät, und das bedauere ich zutiefst.
Celestina in einem Interview für Kanal 1
Laut stöhnend ließ sich Jet von Celestina den Gang hinunterführen, zum Schlafsaal der Mädchen. »Ich verstehe immer noch nicht. Was ist denn so wichtig, dass Sie mich mitten aus dem Kurs öffentliche Auftritte holen, Ma’am?« Jet würde noch eine ganze Weile brauchen, bis sie sich vor den Videokameras wohlfühlte. Seit ihrem Auftritt bei Sams Begräbnis schienen alle zu glauben, sie sei ein Naturtalent. Nur war sie an diesem Tag vollkommen von ihrer Trauer überwältigt gewesen. Jetzt dagegen war das Einzige, was sie ergriff, pures Lampenfieber.
Sie rollte mit den Augen. Eine tolle Heldin würde sie abgeben, wenn sie jedes Mal grün im Gesicht wurde, sobald sich eine Kamera auf sie richtete.
Celestina atmete verärgert durch. »Es gibt einige Dinge, die wichtiger sind als die Arbeit, Joan.«
»Ma’am«, wies Jet sie zurecht. »Sie sollten meine offizielle Bezeichnung benutzen.«
»Und Sie sollten nicht einen Proktor korrigieren. Na los, Bewegung, Miss Greene.«
Jet erbleichte und ging schneller. Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück.
Als sie vor der Tür zu ihrem Zimmer angekommen waren, warf Jet Celestina einen durchdringenden Blick zu. »Ma’am?«
»Gehen Sie rein«, sagte Celestina. Ihre Stimme war so weich wie zartlila Flieder. »Helfen Sie ihr.«
»Was? Helfen …« Jets Augen weiteten sich. »Iri? Ist sie in Schwierigkeiten?«
»Das kann nur sie Ihnen sagen.« Celestina deutete auf die Tür. »Gehen Sie.«
Jet schluckte. Sie und Iridium gingen sich jetzt schon seit fast zehn Monaten aus dem Weg. In all den Nächten, in denen Jet Iridium mit Frostbite und Red Lotus im Gemeinschaftsraum lachen hörte, hatte sie sich gesagt, das sei ganz normal. Sie und Iridium hatten eben verschiedene Ansichten von der Welt. Jet konzentrierte sich auf ihr Studium, auf ihre Karriere als Heldin. Iridium konzentrierte sich auf … na ja, das Licht mochte wissen, worauf. Iri scherte sich nicht um die Akademie. Sie nahm ihr Studium nicht ernst – was Jet auf die Palme brachte, denn sie selbst musste sich jede Eins hart erkämpfen. Sie fand es total unfair, dass Iridium Informationen nahezu in Lichtgeschwindigkeit aufnehmen und verarbeiten konnte. Sie teilten auch im vierten Ausbildungsjahr weiterhin ein Zimmer. Da sie ein Trainingspaar bildeten, stellte dies die sinnvollste Variante dar.
Aber die Behauptung, sie seien noch Freundinnen, wäre arg übertrieben gewesen.
Manchmal vermisste Jet Iri so sehr, dass sie glaubte, es würde ihr das Herz zerreißen. In solchen Momenten war sie versucht, ihre Lehrtexte beiseitezulegen oder sich von einer Sportstunde zu entschuldigen, um zu sehen, wo Iri steckte, und ihr einfach nur zuzuhören, egal, was sie gerade sagte. Wahrscheinlich irgendetwas Zynisches über die Akademie oder die Schwadron oder sogar Corp, wie lästerlich es auch sein mochte.
In solchen Momenten vermisste Jet, dass Iri mit ihr lachte, vermisste ihr boshaftes Grinsen.
Aber diese Momente waren selten. Angehende Helden hatten eine Menge am Hals. Da waren Freundschaften zwar ganz nett, aber sie besaßen keine Priorität. Das jedenfalls hatte Night letztes Jahr gesagt, und Jet teilte seine Meinung voll und ganz.
Wie aber kam es dann, dass Jet plötzlich ein überwältigendes Gefühl von Scham empfand?
»Miss Greene«, wiederholte Celestina, und diesmal lag Reif auf ihrer weichen Fliederstimme, »wollen Sie den ganzen Tag hier rumstehen?«
»Nein, Maam.« Mit diesen Worten presste Jet ihre Handfläche auf das Sicherheitsfeld, und die Tür glitt auf.
Iridium lag bäuchlings auf ihrem Bett, ein Kissen über dem Kopf.
Hinter Jet glitt die Tür wieder zu. Es hörte sich an, als würde ein Sargdeckel zugeklappt. Sie warf einen Blick über die Schulter und fand ihre Vermutung bestätigt: Celestina hatte sie mit ihrer Zimmergenossin allein gelassen.
Für einen Augenblick lauschte sie dem beruhigenden weißen Rauschen in ihrem Ohr. Dann räusperte sie
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