Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
Essen.«
Jessica blinzelte verwirrt. Dann schien sie sich jedoch dafür entschieden zu haben, dass er einen Witz gemacht hatte, denn sie lachte höflich. »Ich bin sicher, das wird nicht nötig sein. Nicht wahr, Liebes?«
»Natürlich nicht«, stimmte Jet prompt zu. Sie hätte ihren Hintern darauf verwettet, dass Bruce es ernst gemeint hatte.
»Wunderbar. Dann werden wir Sie jetzt mal in Ihr Bettchen bringen, in Ordnung?«
Eine kurze, wenn auch demütigende Zeit später lag Jet warm eingepackt in ihrem Bett, die Kissen aufgeschüttelt, die Daunendecke untergesteckt. In ihrem Ohr hörte sie Mozarts Kleine Nachtmusik, und draußen zirpten die Grillen wie wild bei ihrer Partnersuche. Jessica schärfte Jet noch einmal ein, dass sie im Bett zu bleiben hätte, bis Dr. George ihr in fünf Tagen einen Besuch abstatten würde. Dann nahm sie Bruce beiseite, wahrscheinlich, um ihm weitere Anweisungen zu geben.
Mit einem Seufzen schaltete Jet ihren Ohrknopf aus und legte ihn auf den Nachttisch. Sie würde Bruce bitten müssen, den Akku aufzuladen. Gerne hätte sie es selbst getan, aber die Ladestation befand sich in der Küche, und sie war ans Bett gefesselt.
Jet ballte die Fäuste. Sie kam sich so lächerlich vor. Im Bett. Mit Nachthemd und Bademantel. Sie war doch nicht krank. Und auch nicht mehr verletzt. Sicher, sie war müde, aber das hatte sie früher auch nie davon abgehalten, trotzdem auf Streife zu gehen. Licht, sie hatte sogar schon völlig ausgelaugt gekämpft. Sie wollte ihren Anzug anziehen, sich einen Schattengleiter rufen und über den Dächern umherschwirren. Sie wollte einfach nur ganz weit weg von ihrer Wohnung, von diesem Bett.
Weg von den quälenden Gedanken, was wirklich mit Lynda Kidder passiert war.
Sie hatte versucht, Frostbite zu erreichen, damit er eine Großfahndung oberster Priorität nach Martin Moore auslöste, diesem Verräter. Aber es war ihr nicht gelungen, mit ihm in Kontakt zu treten. Sie konnte ja nicht einfach bei Ops verlangen, ihn und nur ihn persönlich zu sprechen. Nicht, wenn sie verhindern wollte, dass sie beide aufflogen.
Sie runzelte die Stirn und schloss die Augen. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander, als ob ihr Geist ihren Körper ersetzen wollte, der untätig ans Bett gefesselt war. Nach dem, was sie von Frostbite wusste, hatte Moore immer nur in der Technikabteilung gearbeitet. Aber warum war ihr dann sein Gesicht so bekannt vorgekommen? Sie war sich fast sicher, dass sie ihn einmal an der Akademie gesehen hatte. Er hatte einen weißen Laborkittel angehabt und sich im Psychotrakt herumgetrieben.
Blödsinn. Moore war kein Therapeut. Woher also kannte sie ihn? Da war dieses Jucken zwischen ihren Schulterblättern, das nagende Gefühl, dass sie den Mann schon mal gesehen hatte.
Sie war oft genug im Hauptquartier von Corp gewesen. Sicher hatte sie ihn dort bemerkt, irgendwo im Hintergrund, bei der Wartung der Computer. Das musste es sein.
Ein Computermensch, der geheime Informationen an Kidder weitergegeben hatte, um Corp und die Schwadron in Verlegenheit zu bringen.
Ein Everyman, der gewusst hatte, was mit Kidder passiert war und wo man sie gefangen hielt. Der vielleicht sogar an ihrer Entführung beteiligt gewesen war und an ihrer … Umwandlung.
»Wie viele Außermenschliche braucht man, um die Welt zu beherrschen? Und um die Menschheit auszurotten?«
Ein getriebener Mann. Erfahren im Umgang mit Computern … und, falls er etwas mit der Herstellung des Serums zu tun hatte, auch mit wissenschaftlichem Hintergrund. Biometrik.
»Jedenfalls werden wir uns nicht einfach so von euch abschlachten lassen«, hatte Moore gesagt. »Wir werden uns euch mit allem entgegenstellen, was wir haben.«
Ein gefährlicher Mann.
Jet musste Moore finden und ihn dazu bringen, ihr mehr über das Serum zu erzählen, mit dem er geprahlt hatte. Aber Frostbite blieb fürs Erste nicht erreichbar. Und ebenso wenig konnte sie riskieren, dass Bruce sich deswegen in Gefahr begab.
Als sie vor etwa zwei Tagen im Krankenhaus mit Night gesprochen und ihm die Wahrheit über ihren missglückten Rettungsversuch erzählt hatte, klang seine Antwort ziemlich entmutigend: »Das überrascht mich nicht im Geringsten. Aber du musst unbedingt Stillschweigen darüber bewahren, Jet. Corp ist gerade dabei, die Undergoths zum Sündenbock zu stempeln. Und du darfst ihnen nicht in die Quere kommen.«
Sie hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, weil sie Night gegenüber nichts von dem Datenstick erwähnt hatte,
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