Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
»Ich bin das Produkt einer vergeudeten Jugend, Iri. Das kommt eben dabei raus, wenn man der dämliche kleine Bruder eines verfickten, großen Superhelden ist.«
Sie bückte sich unter die Werkbank und langte nach einem Karton mit Briefumschlägen aus Plastik. Dann begann sie, die Digichips einzeln einzuwickeln und sie in die Umschläge zu stecken. Die Hacker von Wreck City würden bekommen, was Iridium ihnen versprochen hatte. Eine Bande angepisster Idioten auf dem Hals zu haben war das Allerletzte, was sie im Moment gebrauchen konnte.
»Deine Jugend hat angerufen«, sagte Iridium. »Sie will ihre rosa Schärpe zurück.«
»Zumindest bin ich nicht einfarbig, Puppe.«
»Wenn die Chips fertig sind«, erwiderte sie, »wirfst du sie in den Postkasten in der 170. Straße. Den ohne Kamera. Die Terminals werden wahrscheinlich morgen im Laufe des Tages ein Upgrade erhalten.«
»Weißt du, Puppe … Ist natürlich nur so ein Gedanke. Wenn wir diese Chips verkaufen würden, könnten wir ein hübsches Sümmchen verdienen und vielleicht dieses armselige kleine Gaunerleben für ein Weilchen aufgeben.«
Iridiums Hände erstarrten mitten in der Bewegung.
Boxer hörte nicht auf, milde zu lächeln. Aber er war eindeutig dafür, einmal von seinen festen Gewohnheiten abzuweichen.
Sie atmete tief durch. Wie nah er doch der Wahrheit war. Er war viel gerissener, als er aussah mit seiner Krawattennadel, dem Filzhut und dem dünner werdenden, zurückgegelten Haar.
»Wenn das hier erledigt ist, dann geht es richtig los«, erwiderte sie. »Ich habe fünf Jahre damit zugebracht, Corp ein kleiner Dorn im Auge zu sein. Ich bin es leid.« Sie schlug mit der Faust auf die Werkbank. Ihr Neuralinhibitor, den sie aus dem Nachlass von Baron Nightmare gekauft hatte, fiel herunter und rollte in eine Ecke.
»Iri, wovon redest du?«, fragte Boxer behutsam. »Du weißt, wie ich darüber denke. Ich für mein Teil möchte nicht allzu sehr in das Visier von Corp geraten. Falls meine Brüder oder mein Neffe mich je finden sollten, würde das mit Sicherheit eine lange Auszeit für den guten alten Boxer bedeuten.«
»Ich sagte, ich bin es leid, ein kleiner Dorn im Auge von Corp zu sein. Ich will sie ihnen, verdammt noch mal, auskratzen!« Um ihre Hände, ihr Haar und in ihren Augenwinkeln bildete sich ein roter Lichtschein. »Wir werden zum Angriff auf Corp und ihre Armee von schlecht gekleideten Lakaien übergehen. Das gilt ab sofort. Wenn du damit ein Problem hast, verzieh dich lieber, bevor es ernst wird. Verstanden?«
Boxer schluckte. »Verstanden.«
»Gut. Und nun raus mit dir. Sei so gut und besorg mir ein Sandwich. Ich sterbe vor Hunger. Jet ist mir in die Quere gekommen und hat einen Zufallstreffer gelandet.«
»Diese miese, kleine, schmutzige Heldin«, sagte Boxer mitfühlend. »Übrigens, Boss, bevor ichs vergesse: Du hast eine Nachricht vom Anführer der Undergoths.«
»Na toll!« Sie zog die Nase kraus. Die Undergoths hausten in verlassenen U-Bahn-Tunneln und in noch ganz anderen Erdlöchern … meistens überflutet von ungeklärten Abwässern.
Boxer wies mit dem Daumen über die Schulter. »Soll ich ihnen sagen, dass sie sich verpissen sollen?«
»Erst wenn du rausgefunden hast, was sie wollen«, erwiderte Iridium. »Wäre nicht das erste Mal, dass der Anführer einer Bande von Junkies versucht, sich das Bleiberecht in meinem Revier zu erkaufen. Falls absehbar ist, dass er Ärger macht, müssen wir ihn so schnell wie möglich loswerden.«
»Er will sich mit dir treffen«, sagte Boxer und zündete sich eine altmodische Zigarette an.
»Oh, das ist neu.« Sie fragte sich, wie verrückt der Anführer der Undergoths eigentlich sein musste. »Was hat er denn für ein Problem?«
Boxer grinste sie durch eine Wolke blauen Dunstes hindurch an. »Ich weiß, dass du die Nase von dem Weltverbesserer-Scheiß voll hast. Aber kann sein, dass es dir trotzdem gefällt: Er sagt, er hat ein Problem mit einem von diesen selbst ernannten Ordnungshütern.«
KAPITEL 15
JET
Nicht viele Menschen wissen von den Runnern, die für die Akademie arbeiten. Diese Zivilisten sind zum Schein für Corp tätig, in Wahrheit aber als Laufburschen für die Schwadron. Wir können doch nicht zulassen, dass sich unsere Helden mit so profanen Dingen wie Wäsche waschen abgeben, oder? Da sind sie, unsere Steuergelder, fleißig bei der Arbeit.
Lynda Kidder, »Origins, Teil zwei« New Chicago Tribüne, 2. April 2112
Keine zwei Minuten nachdem Jet in ihr
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