Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
aus der Ops vor gerade mal einer Stunde zu ihr gesagt und dabei vor Sarkasmus getrieft. Jet hatte Ops kontaktiert, um sich die Freigabe für die Untersuchung von Lynda Kidders Apartment geben zu lassen. Ihre Hoffnung, dass vielleicht Meteorite oder Two-Tone oder einer der anderen ehemaligen Helden am anderen Ende sein würde, hatte sich nicht erfüllt. »Verflucht noch eins! Sie ist dir mit dem Hintern ins Gesicht gesprungen. Iri hat den Fußboden mit dir aufgewischt!« Jet hatte die Demütigungen zähneknirschend über sich ergehen lassen. Sie waren durchaus berechtigt gewesen. »Kannst du dir deine Kommentare bitte sparen und mir einfach die Freigabe erteilen?«
»Oh je, arme kleine Lady der Schatten. Sind wir aber angefressen.«
Frostbites Lachen klang bitter und verärgert. »Unser Goldmädchen ist von seinem Podest gefallen. Und jetzt muss es feststellen, wie hart und kalt der Boden ist, auf dem wir einfachen Sterblichen wandeln.« Er schwieg, und Jet spürte, wie Hass aus ihrem Comlink strömte. »Kommt dir das irgendwie bekannt vor, Jet?«
»Ich weiß, dass du froh über ihr Entkommen bist«, sagte sie leise. »Ich verstehe das.«
»Nein, Jet. Ich glaube, du verstehst gar nichts.«
»Notierst du jetzt bitte die Anforderung? Oder muss ich vorbeikommen und das persönlich erledigen?«
Ein Schnauben. »Das können wir natürlich nicht zulassen, dass unsere kostbare Heldin all ihre Kräfte an so gewöhnliche Dinge vergeudet, nicht wahr? Bin schon dabei, Mistress Jet, gnä’ Frau. Mache mich umgehend an die Arbeit und tippe mit aller gebotenen Sorgfalt die Folge von Zahlen und Zeichen ein, die bestätigen, dass Sie, Mistress Jet, gnä’ Frau, um die Freigabe von zwei Stunden ihrer persönlichen Zeit gebeten haben, gültig ab sofort, gnä’ Frau. Und ich würde meine Pflichten in unverzeihlicher Weise vernachlässigen, wenn ich Sie nicht gleichzeitig daran erinnerte, dass sie um 10 Uhr 30 eine Verabredung mit Rabbi Cohn haben, gna Frau, und dass Sie, wenn Sie die verpassen sollten, ganz tief in der Scheiße sitzen, gna Frau!«
»Vielen Dank«, sagte Jet höflich.
»Ach, leck mich, gna Frau.«
Jet fiel das Gespräch mit Frostbite wieder ein und sie seufzte. Sie verstand, warum er sie verachtete. Allerdings machte es das in keiner Weise leichter, seinen Hass zu ertragen. Das tat es nie.
Aber wenn es etwas gab, das Frostbite noch mehr hasste als Jet, dann Corp selbst. Wenn es nötig werden sollte, konnte sie sich an ihn wenden. Nicht, dass er ihr wirklich helfen würde.
Es würde auch nicht wirklich nötig sein, ihn überhaupt darum zu bitten. Weil Night Unrecht hatte. Corp war nicht in Kidders Verschwinden verwickelt. Das konnte schlicht und einfach nicht sein.
Night musste sich einfach irren.
Schluss damit, befahl sie sich und betrat Kidders Schlafzimmer. Es war sinnlos, sich Sorgen um Night zu machen. Sie tat dem alten Mann nur einen Gefallen. Also sollte sie die Wohnung wenigstens gründlich in Augenschein nehmen. Es blieb immer noch genug Zeit, um pünktlich halb zehn bei Rabbi Cohn zu sein.
In dem kleinen Schlafzimmer stand ein einzelnes schmales Bett. Jets Blick blieb an dem gerahmten Bild auf dem Nachttisch hängen. Es zeigte Kidder als junge Frau von vielleicht 20 Jahren. Sie sah glücklich aus, so als könnte sie die ganze Welt erobern. Ihre Arme hatte sie um den Hals eines älteren Mannes geschlungen, der ihr sehr ähnlich sah. Vielleicht ihr Vater.
Jet nahm das Bild in die Hand. Sie musste lächeln, als sie bemerkte, wie entspannt die beiden schienen und wie stolz der ältere Mann wirkte.
Du bist ein böses Mädchen, Joannie. Du hast die Regeln gebrochen, habe ich nicht recht?
Ihre Hand begann zu zittern. Halt die Klappe, Papa.
Ihr Vater lachte in ihrem Kopf.
Erst als sie das Bersten von Glas hörte, bemerkte sie, dass sie den Bilderrahmen zerbrochen hatte. Das Foto von Kidder und ihrem Vater schwebte zu Boden und landete auf dem Teppich, wo es auf einem Haufen glitzernder Glasscherben liegen blieb.
Fluchend starrte Jet auf den kaputten Bilderrahmen in ihrer Hand. Und da sah sie es. Aus dem gebogenen Silber ragte ein schwarzes Rechteck hervor.
Jet zog es heraus. Ein winziger Datenstick, nicht größer als ihr Daumennagel. Nachdenklich betrachtete Jet das kleine Gerät, während sie geistesabwesend einen Schatten rief, um die Glasscherben aufzusaugen.
Eine geheime Akte.
Vielleicht nichts Wichtiges. Nur Familienfotos, die Kidder praktischerweise zur Aufbewahrung mit in den
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