Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
dauerte zwanzig Minuten, bis sich endlich das Tor öffnete und ein Eindämmungsteam herausmarschiert kam. Beim Anblick des Mutantenhaufens klappte dem Anführer, einem riesigen jungen Mann mit rasiertem Schädel, der Unterkiefer herunter, und es dauerte eine geschlagene Minute, bevor er die nötigen Befehle erteilte. Seine Mannschaft war gut organisiert. Sie brauchten nicht einmal zehn Minuten, dann befanden sich alle neuen Insassen auf dem Gefängnisgelände.
Wagner traf ein, als gerade die letzte Fuhre weggeschafft wurde. »Heiliger Jesus, das ist ja unglaublich!«, entfuhr es ihm, als er die Gefangenen sah. Fast wären ihm die Augen herausgefallen. »Diese Dinger sind noch größer und hässlicher, als man mir berichtet hat.«
»Es sind nur Menschen«, sagte Jet müde. »Ganz normale Zivilisten. Ihnen wurde ein Serum verabreicht, deshalb sind sie mutiert. Die Schwadron arbeitet bereits an einem Heilmittel.« Sollte heißen: Frostbite und die Runner durchforsteten die entschlüsselten Corp-Dateien nach den kleinsten Hinweisen, die zu einem solchen Heilmittel führen konnten.
Wagner blickte sie finster an. »Und das weißt du woher?«
»Meine Quelle ist äußerst glaubwürdig.« Einer plötzlichen Eingebung folgend, fügte sie hinzu: »Wenn sie ihren offiziellen Bericht geben, lassen Sie bitte auch verlauten, dass die Schwadron Everyman dazu einlädt, uns bei der Suche nach einem Heilmittel für diese menschlichen Opfer zu helfen.«
Sein Blick versteinerte. »Willst du damit sagen, Everyman hätte was mit alldem hier zu tun?«
»Bisher haben wir keinerlei Beweise dafür, dass Everyman ein Serum entwickelt hat, um aus ganz gewöhnlichen Menschen diese Monster zu machen und sie auf Außermenschliche zu hetzen«, entgegnete Jet professionell. »Oder dass möglicherweise ein Mann namens Martin Moore für Lynda Kidders Tod und die Verteilung eines solch hypothetischen Serums verantwortlich ist.«
Er zog ein Digipad hervor und tippte etwas ein. »M-O-R-E?«
»M-O-O-R-E. Obwohl wir keinen Beweis dafür haben, dass Everyman in einen solch entsetzlichen Vorgang verwickelt war, ist die Einladung, uns bei der Suche nach einem Heilmittel für diese armen, gequälten Menschen zu helfen, vollkommen ernst gemeint.« Jetzt lächelte sie sogar. »Ich bin sicher, Frank Wurtham wird schon einen Kommentar dazu vorbereitet haben.«
»Hat der das nicht immer?« Wagner entschuldigte sich, um kurz ein paar Worte mit dem Captain des Eindämmungsteams zu wechseln.
Jet schloss seufzend die Augen. Licht, war sie müde. Aber endlich, nach einer Woche schieren Wahnsinns, konnte sie wieder freier atmen. Natürlich gab es noch viel zu tun – viel zu viele ehemalige Mitglieder der Schwadron machten die Stadt weiterhin unsicher, entweder völlig überwältigt von ihrer neu gewonnenen Freiheit oder in den Wahnsinn getrieben durch den plötzlichen Verlust ihrer mentalen Fesseln. Aber es sah nicht länger so aus, als wäre die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in New Chicago und dem ganzen Land eine unlösbare Aufgabe. Bis zu diesem Ziel war es noch ein weiter Weg, so viel stand fest. Aber zumindest lag es schon in Sichtweite.
Sie beschloss, jeden einzelnen Schluck dieser Margarita Tropfen für Tropfen zu genießen.
Wagner kam zurück und zog sie beiseite.
»Etwas solltest du noch wissen: Es geht überall das Gerücht um, Hypnotic sei am Austicken der Schwadron schuld«, sagte er.
»Gerüchte verbreiten sich schneller als Lauffeuer.«
»Viel schneller. Lee wird innerhalb der nächsten Stunden eine Pressekonferenz geben, um ganz offiziell den Beitrag anzuerkennen, den du und die anderen bei der Beseitigung von diesem Chaos geleistet haben.« Wagner lächelte grimmig. »Es heißt, er wird euch nicht nur namentlich danken, jedem Einzelnen, sondern auch Corp-Co eine Rüge dafür erteilen, dass sie ihn und die anderen Regierungsmitglieder nicht auf dem Laufenden gehalten haben. Weil ja offensichtlich ist, dass Hypnotics Angriff auf die Schwadron geheim bleiben musste, um den Ausbruch einer Massenpanik zu verhindern.«
»Offensichtlich«, sagte Jet. Beeindruckend, wie schnell Lee umgeschwenkt war, um einen Vorteil aus der Situation zu ziehen. Eigentlich waren Wahljahre doch etwas Tolles.
Wagner sah sie an. Hinter seinen Augen zogen die unterschiedlichsten Gedanken vorbei, und sein Mund war zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Der Blick eines Mannes, der etwas Bedeutsames im Sinn hatte.
Nun, Geduld war einer
Weitere Kostenlose Bücher